Freitag, 22. Oktober 2010

Das Wort zum Freitag: Glühweinsaison


»Morgen soll’s schneien.« Kollege A. unterbricht seine Lektüre und schaut irritiert auf. »Bis auf 600 Meter runter.« A., ungläubig: »Wirklich?« »Hab’ ich heute morgen im Radio gehört.« »Wie hoch liegen wir hier eigentlich, in Lechhausen?« «Ich gaub’ so um die 500 Meter.« A., erleichtert: »Dann gibt’s höchstens Schneeregen.« »Und das findest du besser?« frage ich.

A überlegt einen Moment. »Nicht wirklich«, meint er dann und seufzt. »Aber schließlich haben wir ja schon bald November …« Und er bekommt so einen melancholisch-tiefsinnigen Blick, als sei für Allerheiligen der Weltuntergang angekündigt. Da platzt Kollege B. ins Büro. »Habt ihr eigentlich schon Winterreifen drauf?«

Natürlich nicht. Denn – wie jedes Jahr – wird der Winter völlig überraschend über uns hereinbrechen. Gestern noch die wärmenden Sonnenstrahlen des Altweibersommers – und heute schon Eiskratzen an den Autoscheiben und hektische Suche nach dem Starthilfekabel. Immer wieder auf’s Neue lassen wir uns vom Wechsel der Jahreszeiten überrumpeln. So als hätten wir den Goldenen Oktober schockgefroren, ihm den Zahn der Zeit gezogen. Das einzige, was uns nicht mehr überraschen kann, ist ein mieser Sommer. Mit dem rechnen wir immer.

»Ist doch nur menschlich«, meint mein Kumpel Harry, während wir am Abend den Start der Glühwein-Saison feiern und über technische Probleme mit der Fahrradbeleuchtung sowie typische Symptome der ersten »dicken« Herbsterkältung debattieren: von Gänsehaut bis Stirnhöhlenkatarrh. »Das Unangenehme wird halt verdrängt, ganz weit weg geschoben, ins Reich der Märchen und Sagen verbannt. Und wenn Väterchen Frost an unsere Tür klopft, fallen wir aus allen Wolken und überprüfen besorgt den Heizölstand im Keller. Und dann überkommt uns die Angst, an den Tankstellen und in den Supermärkten könnte Frostschutzmittel bereits ausverkauft sein. Alles ganz normal, mein Freund – so normal, wie der Durst auf Bier nach drei Tassen Glühwein.«

Der Wintereinbruch ist dann übrigens doch (noch) nicht erfolgt. Keine Schneeflocke weit und breit, die Regentonne an der Hauswand noch nicht geborsten. Mein Arbeitskollege B. fühlt sich vera…… Schließlich hatte er sich schon mental auf sibirische Verhältnisse eingestellt!

Heute morgen taumelte er völlig verschwitzt ins Büro – eingepackt in eine Mount-Evererst-Daunenjacke, über den hochroten Kopf eine Boris-Jelzin-Pelzmütze gezogen . »Willste ein kühles Bier?«, fragte ich ihn. Und Kollege A. meinte grinsend: »Seit der Kachelmann mit der Justiz Probleme hat, ist auf die Wetterprognosen einfach kein Verlass mehr.« Worauf ich ergänzte: »Und wenn Aldi die ersten Glühweinpullen ins Regal räumt, bedeutet das noch lange keinen Winteranfang.« Und A.: »Vielleicht geht ja diesmal der Herbst gleich in den Frühling über; übermorgen blühen die Buschwindröschen, und die Störche kehren zurück – wer weiß …«

p.s.
28 Stunden später: Endlich ist es soweit. In allen Straßen und Gassen erklingt der swingende, frühmorgendliche Sound der Plastik-Eiskratzer. »Ritzeratze, kritzekratze, krachsplitter …« Und Kollege B. friert sich auf dem Weg ins Büro bestimmt den A. ab, wetten?

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