Mittwoch, 25. Mai 2016

Bildungsfreistellung in Bayern


In fast allen deutschen Bundesländern haben die ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit sich eine bestimmte Zeit freistellen zu lassen, um sich weiterzubilden - natürlich unter voller Lohnfortzahlung. Dies wird als "Bildungsurlaub" beziehungsweise "Bildungsfreistellung" bezeichnet. Nur die beiden Freistaaten Bayern und Sachsen verwehren den Beschäftigten dieses Recht.


Bildungsfreistellungsregelungen, Quelle: Wikipedia

ver.di fordert schon lange die Bildungsfreistellung auch in Bayern und Sachsen


Deutschland hat das Übereinkommen Nr. 140 der Internationalen Arbeitsorganisation über den bezahlten Bildungsurlaub bereits 1976 unterzeichnet. Damit handelt Deutschland völkerrechtswidrig, wenn es nicht allen Beschäftigten ein Recht auf Bildungsurlaub einräumt. Dies bestätigen zwei Rechtsgutachten, die von ver.di Bayern und der SPD Landtagsfraktion Bayern in Auftrag gegeben wurden. Außerdem wird aufgezeigt, welche Handlungsmöglichkeiten die Gewerkschaften haben.

Hier wird erklärt worum es der ver.di geht




Es wird also Zeit, dass alle Beschäftigten in allen deutschen Bundesländern gleich behandelt werden!

Mittwoch, 18. Mai 2016

Ein Trümmerhaufen


Was am Ende übrig bleibt? Zweieinhalb Jahre nach der Insolvenz hat es nach außen den Anschein, als habe das Unternehmen sich erst einmal vorübergehend stabilisiert. 

Die Kunden bekommen weiterhin den Weltbild Katalog.
Sie bestellen im Online Shop.
Sie finden noch rund 90 Filialen quer über Deutschland verteilt.
Auch für Kunden in Österreich und der Schweiz ist die Marke weiterhin präsent.

Alles in Ordnung also? Keineswegs ... 
Natürlich bemerkenswert, dass das Unternehmen überhaupt noch existiert. Kaum jemand hätte dem Versandhändler damals im Jahr 2014 zugetraut, die ersten Monate der Pleite zu überstehen. Aber in Ordnung ist die Weltbild-Welt deshalb noch lange nicht.

Der nach den schmerzhaften Personaleinschnitten übrig gebliebene kleine Rest der Belegschaft bangt weiterhin um die Zukunft, angesichts einer weitgehend undurchschaubaren Unternehmenspolitik aus dem Hause Droege.

Ein Stimmungsbild über die aktuelle Lage bei Weltbild vermittelt ein Bericht auf domradio.de vom 29.04.2016 nach Eindrücken des Betriebsseelsorgers Erwin Helmer, der immer wieder in Augsburg vor Ort ist und viele Gespräche mit den Beschäftigten geführt hat.




"Ein Trümmerhaufen"

Weltbild war einmal das Aushängeschild des katholischen Verlagswesens in Deutschland. 2014 ging das Unternehmen pleite, die Kirche zog sich zurück. Seelsorger kümmern sich noch immer um die verbliebenen Mitarbeiter.

Das ehemals katholische Unternehmen mit Sitz in der Fuggerstadt hat heute - gut zwei Jahre nach seinem Absturz - nur noch einen Bruchteil seiner Belegschaft.

Wer in den Betrieb hineinhört, bekommt einen Eindruck von den Enttäuschungen bei Weltbild. Von Chaos ist die Rede, von einem infamen Umgang mit den Beschäftigten. "Die Leute sind überarbeitet", sagt Verdi-Betriebsgruppensprecher Timm Boßmann. "Wir kriegen eine höhere Krankheitsrate, weil die Leute fertig sind." Der katholische Betriebsseelsorger Erwin Helmer nennt den Umgangsstil der Geschäftsleitung "unsäglich". Für Betriebsratschef Peter Fitz ist der neue Besitzer Walter P. Droege schlicht eine "Heuschrecke".

"Belogen" 
Nach einer ersten Entlassungswelle kam Droege. Der Milliardär erwarb die Mehrheit der Anteile, spaltete die Logistik ab und steckte sie in die von ihm kontrollierte Also-Group. Droege versprach Konsolidierung. "Wir wurden von vorne bis hinten belogen", so die Gewerkschafter. Ein Jahr nach der Insolvenz waren mehr als die Hälfte der vormals 2.300 Arbeitsplätze in der Zentrale weg, 90 von 250 Filialen dicht. Heute habe Weltbild ohne Logistik 1.300 Mitarbeiter, davon 400 in Augsburg, so eine Firmensprecherin. Der Betriebsrat weiß von 350.

Die Also-Logistik ging im Sommer 2015 in die Insolvenz. Darauf habe die Geschäftsleitung "mit Gewalt gedrängt", sagt Boßmann. Als die Mitarbeiter erfuhren, dass Droege eine bereits erzielte Einigung über Nacht gekippt hat, blickte Helmer in blasse Gesichter, sah Entsetzen in den Augen, Tränen. Der Seelsorger schrieb Briefe an den Milliardär und bekam keine Antwort. Im Dezember der nächste Schlag, 240 weitere Logistiker verloren ihre Jobs. Inzwischen ist klar, dass Also in Augsburg zum Jahresende 2016 zumacht. Auch die restlichen 210 Mitarbeiter der abgespalteten Logistik stehen dann auf der Straße.

Seelsorger Helmer und seine beiden Kollegen versuchen, Mut zu machen, die Mitarbeiter zu stärken, vorschnellen Trost zu vermeiden. "Ob Christen, Muslime oder Atheisten, sie haben alle mit uns geredet." Wichtig sei: "Wie kriege ich Distanz zu dieser brenzligen Situation, die viele kaputt und krank gemacht hat?" Vor der Betriebsversammlung fährt einer wie verrückt auf dem Gabelstapler durch die Hallen. Ein anderer ist fast dankbar für seine Entlassung: "Ich hätt's eh nicht länger ausgehalten. Ich muss da raus." Eine Kollegin tapfer: "Ich war immer ein Stehauf-Männchen." Helmer nennt sie Stehauf-Frauchen.

"Man blickt sich um und sieht auf einen Trümmerhaufen", so Fitz. Doch Betriebsrat und Gewerkschaft geben nicht auf. Mit der Kirche ist man im Reinen. "Wir haben uns gekloppt mit denen", sagt Boßmann, "aber ohne sie hätten wir den Fortbestand bis jetzt nicht geschafft." In der Tat federten die Bistümer damals mit einer Millionen-Geldspritze nicht nur soziale Härten ab. Sie verhinderten auch, dass das Geschäft in der Insolvenzphase völlig einbrach.

Millionen treue Kunden 

Noch lebt Weltbild: Das Haus ist Nummer zwei im Onlinebuchhandel und Rangdritter im Gesamt-Buchmarkt. "Millionen von Kunden sind dem Unternehmen treu geblieben", macht sich eine Firmensprecherin Mut.


Ergänzung in eigener Sache: 
Als Gewerkschafter sind wir 2014 mit öffentlichen Aktionen und auch in diesem Blog die Kirche tatsächlich hart angegangen. Was durchaus notwendig gewesen ist, um bestimmte Entscheidungen zu bewirken. Wir sehen aber auch mit Respekt, dass die Kirche daraufhin zu einem Konsens bereit gewesen ist. Sie war gesprächsbereit und hat ihre Zusagen vertrauenswürdig und verlässlich eingehalten. Das unterscheidet sie ganz wesentlich von dem heutigen Firmeneigentümer. Nur durch einen Kirchenkredit konnte Weltbild die ersten Monate der Insolvenz überleben. Sie ermöglichte erhebliche Transfermaßnahmen und Abfindungen. Und ihre Seelsorger sind heute noch wichtige Ansprechpartner für die Sorgen und Nöte der Beschäftigten. Gerade dem Seelsorger-Team rechnen wir das persönlich hoch an, weil sie in der heißen Konfliktphase quasi "zwischen den Stühlen" saßen und sich einiges von uns haben anhören müssen, was sicher keine einfache Situation für sie gewesen ist.


Donnerstag, 12. Mai 2016

Jetzt wird gebastelt!


Auf der letzten Informationsveranstaltung der Geschäftsführung wurde ja bereits angedeutet, dass man kurz davor stünde den Vertrag über einen strategischen Zukauf für Kidoh final abzuschließen. Das klang damals  sehr kryptisch und sollte noch irgendwie geheim bleiben. Alle fragten sich, was wird es wohl sein? Ravensburger , Playmobil oder vielleicht gar LEGO? 
Nicht ganz...... Aber jetzt aber ist es raus: Weltbild übernimmt die Markenrechte  und den Kundenstamm der "Wummelkiste".  

Denen, die jetzt nicht sofort in Ehrfurcht erstarren und sich mit eher irritiertem Gesichtsausdruck fragen, ob in ihrer Kindheit vielleicht etwas an ihnen vorbei gelaufen ist, sei hier in Kürze das Wesentliche erklärt.

Das Berliner Startup "Wummelkiste" wurde 2012 ins Leben gerufen. Die Idee, die dahinter steckte, war der Versand einer monatliche Abo-Bastelbox, deren Zielgruppe 3- bis 8-jährige Kinder waren, beziehungsweise deren Eltern. Diesen wurde monatlich ein Paket mit  mehreren Bastelideen zugeschickt, komplett ausgestattet, damit sofort losgelegt werden konnte. Die Kinder solletn damit auf spielerische Weise gefördert  und inspiriert werden. Spiel, Spaß und dabei pädagogisch wertvoll. Dieses Konzept selbst und auch die aufwendige und liebevolle Gestaltung erhielten beizeiten viel Lob.

Zum Problem aber wurde sehr schnell der hohe finanzielle Aufwand. Kostenintensiv waren sowohl die Herstellung der Bastelkisten selbst, als auch die Entwicklung von immer neuen, anspruchsvollen Inhalten für die Folgelieferungen.
Parallel dazu war ein sehr teures und aufwendigen Marketing nötig, um ausreichend Kunden für das Produkt zu gewinnen. Diese mussten, damit die Wummelkiste rentabel weitergeführt werden konnte, ihr Abonnement mindestens 11 Monate aufrecht erhalten, was bei den meisten Abnehmern allerdings nicht der Fall war. Und so ging ein grundsätzlich vielversprechendes Konzept zugrunde, weil der Absatz die finanziellen Aufwendungen nicht decken konnte.
Ende 2015 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden, da die Zeit nicht mehr reichte neue Investoren ins Boot zu holen. Seitdem wurde versucht einen Käufer für das Unternehmen zu finden.


Perfekt gemacht wurde die Übernahme der Markenrechte Ende April mit dem Berliner Insolvenzverwalter. Die Gestaltung der kindgerechten Kreativ-Boxen und deren Versand erfolgt künftig auch über Kidoh und Weltbild.
Geschäftsführer Sikko Böhm kommentiert den Neuerwerb entsprechend optimistisch. „Die sympathische Marke Wummelkiste mit Ihren kreativen Basteleien ist für unsere Marken Kidoh und Weltbild die perfekte Ergänzung als Nischenmarke im Bereich Basteln. Kidoh steht als kompetenter Anbieter für das Thema Spielen und Lernen, das Segment Edutainment. Weltbild hat ein starkes Kundenpotenzial im Bereich Familien. Wir sind überzeugt, dass die Idee hinter der Wummelkiste  – spielerisch die Kreativität zu fördern – bei den jungen Familien sehr gut ankommt und das Produkt im Markt Erfolg hat“ *
Dabei soll zukünftig die Zielgruppe erweitert und der Inhalt der Boxen durch Kinderbücher ergänzt werden.

Die Voraussetzungen für einen erfolgversprechenden Neustart sind bei Weltbild  durchaus gegeben. So kann das Produkt ohne allzu großen Aufwand mit der bestehende Marketing-Infrastruktur über Kataloge, Newsletter, Onlineshop und Social Media einem großen potentiellen Kundenkreis nahe gebracht werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich ausreichend Interessenten von der Idee der Wummelkiste angesprochen fühlen und dem Produkt auch längerfristig die Treue halten.


Die Mitarbeiter von Weltbild können die Begeisterung für den Neuerwerb gut nachvollziehen, fühlen sie sich doch selbst manchmal so, als säßen sie in einer gigantischen Geschäftsführer-Wummelkiste, wo nach Herzenslust gebastelt wird. Dabei wird hier weggeschnippelt und neu angemalt, an anderer Stelle etwas hingepappt und umgebaut. Ob das Ergebnis dann allerdings dem entspricht, was man am Anfang im Sinn hatte bleibt 'mal dahingestellt. Aber Eltern wissen, dass das wichtigste dabei ist, dass es irgendwie selber gemacht wurde, auch wenn die Farbe verlaufen, der Kleber verschmiert und die Form eher grobschlächtig geraten ist. Hauptsache die Kinder hatten Spaß und haben etwas gelernt.
Ob Droege das im Fall von Weltbild genauso sieht, darf jedoch stark  angezweifelt werden.

* Pressemitteilung der Geschäftsführung

Freitag, 6. Mai 2016

ver.di Jugend setzt Zeichen gegen Rechts


„Gegen Intoleranz und Fremdenhass“

Mehr als 20 Aktive der ver.di Jugend Bayern haben in der vergangenen Woche an den Protesten gegen den Programmparteitag der AfD in Stuttgart teilgenommen. „Das ist ein erfreuliches Zeichen“, so Michael Frosch, Gewerkschaftssekretär für den Bereich Jugend bei ver.di Augsburg. „Wir haben gezeigt, dass junge Menschen eben nicht desinteressiert sind, sondern hin schauen und aktiv werden, wenn es darum geht sich gegen Intoleranz und Fremdenhass zu positionieren.“

Schon zum Neujahrsempfang der AfD im Augsburger Rathaus hatten sich die Jugendlichen aktiv gezeigt und im Saal durch T-Shirt-Botschaften auf sich aufmerksam gemacht. Unerträglich sei es, so Frosch, dass in einem Land mit unserer Geschichte eine Partei erfolgreich sein kann, die mit so plumpen Parolen gegen Ausländer und religiöse Minderheiten Angst und Hass schüren wolle. „Das dürfen wir nicht hinnehmen“, betonte Michael Frosch. Deshalb habe sich der Vorstand der ver.di Jugend Augsburg hierzu auch deutlich positioniert.

Der erfreulich hohen Teilnehmerzahl an den Protesten stehen für die Gewerkschaftsjugend Augsburg aber auch Schattenseiten gegenüber. „Das Vorgehen der Einsatzkräfte vor Ort war in unseren Augen vollständig unangemessen und von einem sehr hohen Aggressionspotenzial geprägt“, erklärt Cyrill Bommel, ebenfalls Gewerkschaftssekretär bei ver.di in Augsburg: „Wir waren noch nicht ganz aus dem Bus ausgestiegen und wurden schon eingekesselt und für mehrere Stunden festgehalten“, berichtete Bommel. Er berichtet darüber hinaus von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizeibeamten, Beleidigungen und Einschüchterungen. „Das ist für mich völlig unverständlich“, so Bommel. „Wir sind schließlich diejenigen, die für den Schutz der Demokratie und der Menschenrechte eintreten. Wieso hier gegen uns vorgegangen wird, kann ich nicht nachvollziehen. Hier wäre es meiner Meinung nach dringend nötig, deutliche Kritik zu äußern und den Einsatz intensiv zu reflektieren.“


Nichts desto trotz zeigen sich die beiden Gewerkschafter zuversichtlich für die Zukunft: „Unsere Mitglieder zeigen immer mehr, dass sie mit rechten Parteien nichts zu tun haben wollen. Wir haben bereits Zeichen gesendet – und werden das auch weiterhin tun!“, kündigt Michael Frosch an.

 Quelle Pressemitteilung ver.di 04.05.16


Weitere Berichte findet ihr:
Ein Gespräch mit Cyrill Bommel
Ver.di: Inhaftierung 3 Fotografen skandalös

Mittwoch, 4. Mai 2016


Wir möchten gerne mal wieder auf einen interessanten Artikel aus der ver.di-Zeitschrift PUBLIK hinweisen:
Das Unrecht nicht hinnehmen


Das Unrecht nicht hinnehmen


INTERVIEW - Günter Wallraff über Unrecht in der Arbeitswelt und die Initiative „work-watch“


 
In Rente gehen, ist für ihn kein Thema:
„Die ewige Ruhe ist uns noch lange genug beschieden. Ich bin wieder in einer Rolle unterwegs. Ich kann‘s nicht lassen“, sagt Günter Wallraff, Deutschlands bekanntester Enthüllungsjournalist. Mit seinen Undercover-Einsätzen dokumentiert Wallraff Missstände in Betrieben und will im besten Fall Arbeitsbedingungen verbessern. Wir sprachen mit ihm über Bossing-Methoden (wenn der Chef mobbt), dubiose Kooperationen zwischen Arbeitgebern und unseriösen Anwaltskanzleien und sein Projekt „work-watch“.

ver.di publik
Was erschreckt dich bei deinen Recherchen besonders. Oder kann dich nichts mehr erschüttern?

Günter Wallraff
Mich erschüttert wieder und wieder aufs Neue, was in der Arbeitswelt an Ausbeutung und Entrechtung passiert. Ich bin weder abgebrüht noch abgehärtet. Es geht mir immer nahe, wenn ich sehe, wie Menschen diesen teilweise frühkapitalistisch anmutenden Zuständen ausgeliefert sind. Viele haben Angst vor den Konsequenzen oder wissen gar nichts über die Arbeit einer Gewerkschaft und ihre Arbeitnehmerrechte. Das ist ein Riesenproblem. In vielen Betrieben wird eine gewerkschaftliche Betätigung nicht nur erschwert, sondern sogar verhindert.

ver.di publik
Kaum ist ein Missstand aufgedeckt und wird öffentlich diskutiert, folgt schon der nächste. Bist du da manchmal frustriert?

Günter Wallraff
Wenn ich sehe, wie Rechte, die durch eine Arbeiterbewegung erkämpft wurden, rückgängig gemacht werden, dann ist es auch zum Verzweifeln. Doch Sisyphos ist meine Leid- und Leitfigur: Egal, wie wenig erfolgversprechend und anstrengend es im Moment auch erscheinen mag, es ist oft viel mehr möglich, als man erst mal für möglich gehalten hat. Wenn man es nämlich hinnimmt, dann ist man mitverantwortlich oder sogar mitschuldig. Täglich erreichen mich Grausamkeiten per E-Mail oder werden an „work-watch” herangetragen. Mit diesem Projekt, auch jenseits der medialen Aufmerksamkeit, gelingt es in Einzelfällen unter Einbeziehung der Beteiligten, Verbesserungen durchzusetzen. Um Frust zu vermeiden, ist es wichtig, Nachhaltigkeit zu erzeugen und immer wieder unter Beweis zu stellen: Solidarität ist kein aus der Mode gekommenes Fremdwort, wir können etwas ändern.

„Egal, wie wenig erfolgversprechend und anstrengend es im Moment auch erscheinen mag, es ist oft viel mehr möglich, als man erst mal für möglich gehalten hat“ Günter Wallraff

ver.di publik
Arbeitgeber lassen sich viel einfallen, um Mitarbeiter loszuwerden. Oft werden dabei Anwälte engagiert, die sich selbst rühmen, und zwar mit dem Kündigen von Unkündbaren. Müssen wir davon ausgehen, dass diese Vorgehensweisen zunehmen?

Günter Wallraff
Es gibt mittlerweile in Deutschland eine ganze Reihe von solchen Unrechtsanwälten, die nichts anderes tun, als jenseits des Arbeitsrechts und jenseits der Rechtsstaatlichkeit unliebsame Menschen aus den Betrieben zu entfernen – etwa, weil sie einen Betriebsrat gründen wollen. Diese Anwälte arbeiten mit teils kriminellen Methoden, mit zersetzenden Maßnahmen bis hin zu Psychofolter, Abhörmethoden und infamem Bossing gegen unliebsame Mitarbeiter. Einen solchen Anwalt habe ich mir mal von Nahem angesehen, bin ihm in der Rolle eines gealterten Unternehmers im Rollstuhl begegnet, der seinen Betrieb an eine amerikanische Heuschrecke verkaufen möchte, aber vorher noch den Betriebsrat als störenden Kostenfaktor entfernen lassen will. Diesen Anwalt habe ich in einem Beratungsgespräch mit versteckter Kamera gefilmt und dies bei RTL veröffentlicht. Dabei hat er sich wörtlich gerühmt: „Es gibt niemanden, der unkündbar ist! Bei mir fängt die Arbeit erst an, wenn die anderen Anwälte sagen, es geht nicht!“ Er hat mir dann erklärt, dass er alle Leute aus dem Betrieb entfernen könne, die ich raushaben will.

ver.di publik
Kann man Unrecht überhaupt beseitigen, oder sind die Konzerne zu stark?

Günter Wallraff
Auch wir als Verbraucher sind gefordert, wir haben in einem demokratischen Rechtsstaat die Möglichkeit, Änderungen herbeizuführen. Es hat sich schon einiges im Bewusstsein der Verbraucher getan. Auch wenn es zunächst eigennützig ist, weil man sich zum Beispiel gesund ernähren möchte, schwingt darin auch gleichzeitig eine Sensibilisierung für die Tierhaltung mit. Aber: Wenn wir nur bedenkenlos schnellstschnellst und billigst-billigst alles online ordern, sind wir mitverantwortlich! Den Preis für unsere Bequemlichkeit zahlen andere, beispielsweise die Paketzusteller oder unsere immer mehr belastete Umwelt. Es geht nicht um diejenigen, die zu ordentlichen Löhnen unbefristet beschäftigt werden, ich denke hier vor allem an die modernen neuen Arbeitssklaven, die man jederzeit mit einem Arschtritt auf die Straße setzen kann, weil sie befristete Zeitverträge haben oder über Werkverträge oder Scheinselbstständigkeit nicht mal einen Arbeitnehmerstatus besitzen. Die Gewerkschaften sind so stark oder schwach wie ihre Mitgliederzahlen, wie ihre Präsenz in der Öffentlichkeit. Und das Problem ist, dass es in einigen Branchen und vor allem im Osten der Republik nahezu gewerkschaftsfreie Zonen gibt. Es braucht Zivilcourage und Beharrlichkeit, Unrecht nicht hinzunehmen! Gerade auch als Arbeitnehmer/in kann man viel bewirken – wenn man sich organisiert und engagiert.

Interview: Yasemin Taskesen

PUBLIK 2/2016

Sonntag, 1. Mai 2016

Eindrücke 1. Mai in Augsburg







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