Freitag, 14. August 2020

Neue Angriffe auf den arbeitsfreien Sonntag: Das Bündnis verkaufsoffene Sonntage von ver.di und Kirche im Ruhrgebiet ist zerbröckelt – die Kirchen scheinen die Seiten gewechselt zu haben





Die Auseinandersetzung um die verkaufsoffenen Sonntage ist schon recht alt und besonders die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kämpft dafür, dass der arbeitsfreie Sonntag „noch eine Ruheinsel bildet, in der Menschen ihre Zeit nach ihren Bedürfnissen verbringen können“. Für die allermeisten Beschäftigten ist der Alltag zunehmend rastlos geworden, Arbeitsverdichtung, flexible Arbeitszeiten, Wechsel von Arbeitsphasen und Arbeitslosigkeit, aber auch immer mehr Anforderungen im Privaten setzen die Menschen unter Stress. Deshalb spricht sich die Gewerkschaft prinzipiell gegen verkaufsoffene Sonntage aus.

Das alles steht derzeit wieder auf dem Prüfstand. Die NRW- Landesregierung möchte dem von der wirtschaftlichen Krise und Ausgangssperre der Konsumenten gebeutelten Handel mit verkaufsoffenen Sonntagen in 2020 die Umsatzeinbrüche zumindest etwas ausgleichen.

Hier steht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mittlerweile einsam auf verlorenem Posten, weil vor allem die Kirchen als Verbündete die bundesweite Sonntagsallianz verlassen und keine Einwände bei dem erneuten Vorstoß der NRW-Landesregierung mehr haben.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte die bundesweite Sonntagsallianz gegründet, die sich für den Erhalt der Sonntagsruhe einsetzt, ebenso wie für Öffnungszeiten im Handel, die allen Beschäftigten eine gesunde Work-Life-Balance ermöglichen sollen.

Zur bundesweiten Allianz für den freien Sonntag gehören:

die Gewerkschaft ver.di,
die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB),
der Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen (BVEA),
die Katholische Betriebsseelsorge,
der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA)

sowie weitere Unterstützerorganisationen.

Seit Jahren schreiten die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die katholische und evangelische Kirche „Seit an Seit“, wenn es um die verkaufsoffenen Sonntage geht.

Im vorvergangenen Jahr hatte das Bündnis Risse bekommen:

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck war zwar unzufrieden über die Verdoppelung von vier auf acht verkaufsoffene Sonntage durch die CDU/FDP Landesregierung, doch hatte er sein Herz für die lokale Geschäftswelt in Essen entdeckt, die sich seiner Meinung nach durch zusätzliche Öffnungstage gegen die übergroße Konkurrenz des Onlinehandels erwehren muss. Außerdem lehnt er eine „Fundamentalopposition“ der Kirche, „wie sie ver.di an den Tag legt“, generell ab.

Das ist eine ähnliche Haltung wie der zeitgleich stattfindende katholische Kirchentag deutlich machte. Dort wurde die massive Aufrüstung bei uns und der gestiegene Waffenexport nicht verurteilt, sondern die „Antwort eines Christen auf die Frage gesucht, ob Frieden auch mit militärischen Mitteln geschaffen werden darf“, im Vordergrund stand.

Was der Essener Bischof nun eine „Fundamentalopposition, wie sie ver.di an den Tag legt“, nennt und sowas generell ablehnt, meint aber, dass die Gewerkschaft sehr zum Ärger der Kaufmannschaften vor Ort im vergangenen Jahr erfolgreich vor Gericht zog und verhinderte mehrere Sonntags-Öffnungen in Essen und andernorts. Wie z.B. in Kreuztal, wo das Oberverwaltungsgericht in Münster einen Sonntagsverkauf nach dem neuen, von der CDU/FDP-Koalition beschlossenen Ladenöffnungsgesetz untersagt hat. Das Gericht hatte einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Arnsberg bestätigt, das einem Eilantrag der Gewerkschaft ver.di gegen die Sonntagsöffnung recht gegeben hatte.

Kreuztal hatte die sonntägliche Ladenöffnung auf Grundlage der Gesetzesreform („Entfesselungsgesetz“) genehmigt. Laut OVG Münster bedarf es eines „verfassungsrechtlich tragfähigen Sachgrundes“, der die Sonntagsöffnung rechtfertigt. Für eine ausnahmsweise Ladenöffnung seien gewichtige und im Einzelfall festzustellende Interessen erforderlich. Die pauschale Aussage, die beabsichtigte Ladenöffnung diene den im Gesetz beispielhaft aufgeführten Zielen, wie die Erhöhung der Attraktivität von Innenstädten, ist laut dem vierten Senat des Oberverwaltungsgerichtes unzureichend. Insbesondere seien die im Ladenöffnungsgesetz definierten öffentlichen Interessen in ihrer Zielrichtung sehr weit gefasst und insoweit nicht geeignet, einen für die Öffentlichkeit erkennbaren Ausnahmecharakter der Ladenöffnung zu begründen. Für einen Sonntagsverkauf müsse es sich um Belange handeln, die über das bloße Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche Erwerbsinteresse möglicher Käufer hinausgingen.

Der Essener Kirchenmann, dem das Herz für die Kaufleute aufgeht, sollte sich doch mal fragen, warum bei einem Stadtteilfest immer die Läden öffnen müssen und nicht die Dienstleistungsgewerkschaft als Spaßbremse bei dem genussvollen Kauferlebnis bezichtigen.

Er hat wahrscheinlich verdrängt, dass die Beschäftigten sonntags 

  • nicht aus freien Stücken und gerne arbeiten, sondern viele Läden aus der Tarifbindung ausgestiegen sind und ihnen Entgelte zahlen, die nicht zum Leben reichen und durch die Sonntagsarbeit aufgestockt werden müssen.
  • die CDU/FDP Landesregierung mit dem ersten „Entfesselungsgesetz“ beschlossen hat, die Ausweitung der Ladenöffnungen von bisher vier auf acht Sonntage und damit „zahlreiche bürokratische Hürden für Wirtschaft und Mittelstand abgeschafft“ hat.
  • dieses eben erst vorgelegte so genannte „Entfesselungsgesetz“, das unter anderem mehr Kauf-Sonntage ermöglichen und die Genehmigung erleichtern soll, von ver.di und anderen Verbänden als verfassungswidrig eingestuft wird und Verfassungsklagen dagegen anstreben.


So etwas nennt der Bischof eine „Fundamentalopposition“ doch sollte er einmal lesen, was der Minister für Verkehr des Landes NRW, Hendrik Wüst öffentlich machte: „Mit dem ersten Entfesselungsgesetz der NRW-Koalition (…) werden jetzt zahlreiche bürokratische Hürden für Wirtschaft und Mittelstand abgeschafft. Das Gesetz ist ein Aufbruchsignal für bessere Standortbedingungen. Die Landesregierung hat schon jetzt gegenüber dem Mittelstand, dem Handwerk und der Wirtschaft Wort gehalten und geht erste wichtige Schritte in Richtung Bürokratieabbau und Entlastung von Unternehmen und Arbeitnehmern. Die wichtigsten Änderungen sind eine vernünftige und abgewogene Regelung der verkaufsoffenen Sonntage, Erleichterungen für Gründer, die elektronische Gewerbesteueranmeldung, die Streichung unnützer und belastender Regelungen bei der Auftragsvergabe sowie eine Stärkung der Kammern als Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft.“

Er kündigt an, dass die Landesregierung weiter an diesen Zielen dranbleibt. Das Entfesselungspaket wird sich auch mit digitalen Aspekten befassen, wie E-Government und Rechtsumsetzung bezüglich elektronischer Rechnungslegung.

Dagegen ist eine gewerkschaftliche Fundamentalopposition mehr als notwendig.

Quellen: Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, Pressemitteilung Landesregierung NRW, NRZ, WAZ, ver.di, allianz-fuer-den-freien-sonntag.de




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Samstag, 8. August 2020

Amazon: Schlappe gegen ver.di vorm Bundesverfassungsgericht

 

Der globale Versandhändler ignoriert schon seit 2013 die berechtigten Forderungen seiner MitarbeiterInnen nach einem Tarifvertrag.

Neuster Clou: Amazon zog bis nach Karlsruhe vors Bundesverfassungsgericht, um ver.di-Streiks von ihren Firmenparkplätzen fernzuhalten. Doch hat Amazon diesmal zu hoch gepokert: ver.di hat jetzt offiziell vom höchsten Gericht im Lande, dass das Streikrecht auch auf dem Amazon Parkplatz gilt. Schön, bestätigt zu bekommen, dass sich dieser auch im Geltungsbereich der deutschen Verfassung befindet.

Was war der Anlass für Amazons Verfassungsbeschwerde? An den Standorten Koblenz und Pforzheim hatte ver.di jeweils auf dem Firmenparkplatz zum Streik aufgerufen. Die kompletten Flächen der Amazon Lager seien durch das Hausrecht vor ver.di Aktionen geschützt, so Amazon gegenüber dem Gericht. Dabei hatte schon 2018 das Bundesarbeitsgericht Amazon eines Besseren belehrt.

Amazon kanns einfach nicht fassen

Doch anstatt es jetzt endlich gut sein zu lassen, werde man, so ein Amazon Sprecher "das Urteil sorgfältig prüfen". Denn: “Uns ging es immer um die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie steht an erster Stelle. Der heutige Beschluss hilft nicht, unnötige Gefahrensituationen auf dem Parkplatz zu vermeiden.” Welche Gefahr von ein paar Duzend GewerkschafterInnen auf einem Hektar-großen Parkplatz wohl ausgeht? Es muss wohl die Gefahr von Tarifverträgen sein.

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