Wir schreiben das Jahr 2020. Die Arbeitswelt hat sich gewaltig
verändert. Die Menschen sind fast ausschließlich "Cloud Worker".
Festanstellungen gibt es so gut wie gar nicht mehr. Die Unternehmen
heuern, je nach Bedarf, ihre Arbeitskräfte über ein virtuelles Netzwerk
an. Was mit der IT-Branche begann, betrifft nun nahezu alle
Berufsgruppen. Ein Heer von Freelancern kämpft mit weltweiter Konkurrenz
um Aufträge. Die Folge: Preisdumping. Heute verdienen die Leute ein
Drittel von dem, was noch vor 10 Jahren gezahlt wurde.
Ganz so schlimm ist es aktuell Gott sei dank noch nicht:
Wenn Unternehmen eine Aufgabe lösen müssen, fragen sie nicht
mehr automatisch die Experten im eigenen Haus, sondern nutzen immer
öfter das Schwarmwissen im Netz. Anspruchsvolle Design-, Programmier- und Textarbeiten werden
genauso über Internetplattformen abgewickelt wie simple Tätigkeiten,
zum Beispiel Warenkennzeichnungen und Adressenrecherchen.
Das Arbeiten in virtuellen Gemeinschaften, in der sogenannten Cloud
(Wolke), oder als Teil einer unbekannten Masse im Internet, der Crowd
(Gruppe), nimmt zu, ob als Zuverdienst oder selbstständig. ver.di
befasst sich zusammen mit wissenschaftlichen Partnern, Gewerkschaften
und Unternehmen in dem Projekt "Cloud und
Crowd" mit den Veränderungen durch Digitalisierung. Es geht um Arbeit, die über Internetplattformen vermittelt
wird, um Folgen speziell für Call- und Service-Center und ganz allgemein
um die Veränderungen in Unternehmen, die immer öfter Projekte,
Teilprojekte oder Teilarbeiten auslagern.
Frei, aber ...
"Selbstbestimmt und frei arbeiten, was man will, wann man will und wo
man will, das motiviert viele Crowdworker zur Arbeit im Netz", sagt
Karl-Heinz Brandl, ver.di-Bereichsleiter für Innovation und Gute Arbeit.
Doch die CrowdworkerInnen konkurrieren auch im Netz. Das drückt Löhne
und Bedingungen. Die Vermittlungsagentur Freelancer bietet allein auf
ihrer Website Zugang zu 16 Millionen Crowdworkern, Upwork zählt neun
Millionen, und die in Deutschland angesiedelte Plattform Clickworker hat
nach eigenen Angaben 700.000 Angemeldete. "Es gibt keine
Mindeststandards bei Arbeitsentgelt, Arbeitszeit und Arbeitsschutz",
sagt Brandl. "Die bisherigen schützenden Strukturen, wie sie in
Betrieben und Unternehmen durch Gewerkschaften und Betriebsräte
erreicht werden, fehlen spürbar." In diese Lücke will ver.di stoßen.
Denn der Anspruch von ver.di lautet: Gute Arbeit für alle.
Schon seit Jahren vertritt die Gewerkschaft die Interessen von
Solo-Selbstständigen, von Designern
bis hin zu Handwerkern, Kurieren, Redakteuren und Pflegekräften. Auch
deren Arbeit verändert sich durch Cloud und Crowd. Manche Selbstständige
nutzen die Gelegenheit und verdienen mit Hilfe der Vergabe über die
Internetplattformen noch etwas dazu, andere finden ihre Auftraggeber
immer öfter im Netz.
Welchen Status haben die Crowd- bzw. Clickworker?
Wer ist selbstständig, wer möglicherweise scheinselbstständig? Wie
können wir sie unterstützen? Aber auch die Frage: Wo sitzen die
Auftraggeber? Beteiligen sie sich am Sozialsystem und leisten sie ihren
Beitrag?. Das herauszufinden und die Crowd- und
Clickworker miteinander und mit ihren Erwartungen an ver.di ins Gespräch
zu bringen, ist allerdings schwierig, da die Menschen sehr
verschieden seien - von der Designerin bis hin zum Fahrradkurier.
Wenig Lohn
Die Analyse einer aktuellen Umfrage im Auftrag der gewerkschaftsnahen
Hans-Böckler-Stiftung, an der auch ver.di beteiligt war, legt die
Vermutung nahe, dass die reine Klickarbeit überwiegend nicht zur
Selbstständigkeit taugt. Die Verdienste der sogenannten Clickworker sind
in der Regel gering. Sie genießen weder Kündigungsschutz noch
Anspruch auf bezahlten Urlaub. Rentenvorsorge und Krankenversicherung
sind Privatsache. Die meisten Clickworker verdienen unter 500 Euro pro
Monat vor Steuern. Vermutlich ist dies einer der Gründe, weshalb
viele die Arbeit im Netz nur neben dem Hauptberuf betreiben. Die
Mehrheit, 70 Prozent, arbeitet 14 Stunden pro Woche im Netz. Wer
dennoch dort hauptberuflich unterwegs ist, hat im Schnitt lediglich
1.500 Euro im Monat, unversteuert. Trotzdem fühlen sich die meisten
CrowdworkeInnen laut Befragung "nicht ausgebeutet" und bewerten
lediglich Zeitdruck und Arbeitspensum als negativ.

ver.di-Umfrage
ver.di möchte jetzt mit einer weiteren Umfrage herausfinden, wie
die über Plattformen vermittelte Arbeit in ihrem Organisationbereich
aussieht, und was die Gewerkschaft tun sollte, um gute Arbeit zu
erreichen. Dabei schaut ver.di in den von ihr betreuten Branchen nicht
nur auf Selbstständige, sondern auch auf die Beschäftigten, die feste
Arbeitsplätze haben, aber mit Hilfe von Crowdwork etwas dazuverdienen.
Zudem will ver.di herausfinden, wie sich die Arbeit in den Unternehmen
durch die neuen technischen Möglichkeiten verändert. "Wir möchten
wissen, welche Erfahrungen Betriebsräte und Beschäftigte machen und was
sie von uns erwarten, damit wir ihre Arbeit gut gestalten können",
erläutert Sarah Bormann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im
ver.di-Projekt "Cloud und Crowd", die Ziele. Verlässliche Zahlen lägen
zwar noch nicht vor, doch selbst wenn es nur vier Prozent Crowdworker
gibt, könnte das einen großen Einfluss auf die festen Arbeitsplätze in
den Unternehmen haben, beispielsweise wenn sie durch die neue Konkurrenz
im Netz unter Druck geraten.

Mitbestimmung
Das auf drei Jahre angelegte Projekt "Cloud und Crowd" hat sich auch
vorgenommen, Handlungsempfehlungen für Betriebsräte zu entwickeln,
sowohl für den Fall, dassCrowdwork im Unternehmen eingeführt wird, als
auch, dass sie schon gemacht wird. 2018 soll dazu gemeinsam mit der IG
Metall eine Betriebsrätekonferenz veranstaltet werden. "Es stellt sich
auch die Frage, inwieweit Mitbestimmungsrechte künftig angepasst werden
müssen", betont Bormann.
Call-Center
In Call- und Service-Centern wird sich die Arbeit durch
Automatisierungsprozesse, Internettelefonie, Social Media und die neuen
Möglichkeiten des Selbstservices deutlich verändern. Das Umstellen
aller Telekom-Netze auf All-IP (Internetprotokolle) bis 2018 eröffnet
neue technische Möglichkeiten. Statt wie bisher eine klassische
Telekommunikationsanlage im Unternehmen zu betreiben, kann Telefonieren
als Serviceleistung aus einer Cloud im Internet organisiert werden.
Das puscht neue Dienstleistungen, verändert den bisherigen Service,
vereinfacht Prozesse, überträgt aber auch Arbeiten auf den Kunden und
spart dadurch Arbeitsplätze. "Besonders bei der Telekom verändert sich
die Arbeit sehr stark", weiß Bormann. "Früher musste der Kunde anrufen,
jetzt kann er vieles mit Hilfe der mobilen Apps selbst tun, wie Daten
anpassen, ändern oder kündigen." Experten aus der Crowd können in
virtuellen Call-Centern in Spitzenzeiten Anfragen bearbeiten.
Call-Center-Mitarbeiter/innen haben die Chance, von zu Hause zu
arbeiten. "Doch auch die Kundenschnittstelle bleibt wichtig", sagt
Bormann. "Wenn Roboter zu viel im Netz übernehmen, bleibt der Mensch
außen vor: Nicht nur Arbeitsplätze gehen dann verloren, auch die Nähe
zum Kunden."