Mittwoch, 20. Februar 2019

GF an Belegschaft: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?


Immer wenn es für Käpt’n Kirk von der Enterprise so richtig eng wurde, griff er zum Communicator und befahl: „Beam me up, Scotty!“ Dieser kleine Trick ließ schon die Kiefer unzähliger Monster in die interstellare Leere schnappen. Daran mag sich Christian Sailer erinnert haben, als er am Horizont wieder einmal ein paar hässliche Pleitegeier ihre Runden drehen sah. Aber anstatt sich selbst in Luft aufzulösen, nimmt der WELTBILD-CEO gleich die ganze Belegschaft mit auf seinen Sternen-Trip. Mitarbeiterversammlung heißt das dann, und viele Lichtjahre von der Wirklichkeit entfernt dringt die Geschäftsführung in Galaxien vor, die nie ein Düsseldorfer zuvor gesehen hat...

Den Auftakt macht Tobias Winstel, der seit Jahresbeginn den Buchbereich leitet. Er hat fleißig zur WELTBILD-Historie recherchiert und berichtet der erstaunten  Belegschaft, dass sie „in den letzten vier Jahren eine tolle Geschichte hingelegt“ habe. „Eine tolle Geschichte“ – so kann man es natürlich auch nennen, wenn von 2.300 KollegInnen rund 2.000 ihren Arbeitsplatz verlieren. Man kann das aber auch eleganter sagen: Für den neuen Leiter Online-Marketing, der sich im Anschluss vorstellt, ist die Insolvenz schon nur noch eine „Saure-Gurken-Zeit“. Eine Episode, die mit seinem Erscheinen abgeschlossen ist.

Diese Steilvorlage lässt sich der stets gut gelaunte Märchenonkel Christian natürlich nicht entgehen. Er spricht im Folgenden selbst von einer „Sauren-Gurken-Zeit, die wir aber in kurzer Zeit gedreht haben...“ Die darauf folgenden Aussagen zur wirtschaftlichen Lage sind dann etwas widersprüchlich: Mal „haben wir ein leichtes Plus“, dann ging im zweistelligen Millionenbereich „Umsatz verloren“, doch das Ergebnis sei „positiv“ – wenn auch „unter Plan“ bzw. „Vorjahr“.

Neu: die „Weniger-ist-Mehrwert-Theorie“

Kurz bevor sich gar keineR mehr auskennt, verrät der inspirierte Versandhandelsstratege sein Erfolgsrezept: „Weniger Filialen, weniger Kataloge – aber die Ersparnis ist größer als die Umsatzverluste.“ Und schon ist sie geboren, ganz frei nach Marx: die Weniger-ist-Mehrwert-Theorie.

Während die Belegschaft noch über diese betriebswirtschaftliche Vision staunt und nachzurechnen versucht, was das für ihre Arbeitsplätze bedeutet, kriegt der Clown Executive Officer schon wieder die Kurve: 2019 greife die „Wachstumsinitiative!“ Die legendären 3 - 5% Umsatzwachstum, die bereits für 2017 und 2018 versprochen waren – jetzt kommen sie, ganz bestimmt...

In dem Stil geht es weiter. Der neue Marketing-Chef Ferdinand Mahr hat durch beherzte „Marketing Analytics“ herausgefunden, dass die KundInnen von Weltbild in der Mehrzahl alt und weiblich sind. Während die Belegschaft recht verhalten auf diese nicht völlig neue Erkenntnis reagiert, zeigt sich CEO Sailer begeistert: „Ich war total überrascht: von unseren Neukunden sind fast 50% unter 45!“ Mehr als die Hälfte also älter. So sieht Zukunft aus – man muss nur ganz fest die Augen zusammenkneifen.

Sklaventreiberei als Verbesserungsprozess

Oder die Zähne zusammenbeißen. Das dürften unsere KollegInnen in Tschechien derzeit tun. Geschäftsführer Nummer 4, Bjoern Minnier, berichtet aus Bor: Dort laufe es super, seit man die Arbeitsleistung jedes einzelnen Mitarbeiters elektronisch erfasse. Der persönliche Leistungsreport werde nicht nur im Betrieb öffentlich ausgehängt, sondern es gebe auch Einzelgespräche mit den ArbeitnehmerInnen, deren Leistung unter einer willkürlich festgelegten Benchmark liege. Wenn auch das nicht fruchte, tausche man die „Ressource“ eben aus. Kein Problem, weil „wir beschäftigen dort zum größten Teil Leiharbeiter“.

Wenn AMAZON sowas macht, kommt das im Fernsehen und Günter Wallraff spricht den Kommentar dazu. Bei WELTBILD läuft das inzwischen unter „Prozessoptimierung“. Damit kennt sich Bjoern Minnier als ehemaliger Unternehmensberater der Droege-Gruppe natürlich sehr gut aus.

Am Ende wird es dann noch mal unterhaltsam – MitarbeiterInnen dürfen Fragen stellen: „Wenn es alles so gut läuft, warum zahlen wir unsere Rechnungen nicht?“ Da wird ein Herr Sailer ganz verständnisvoll und geradezu altväterlich: „Sehen Sie, ich will das mal so erklären: Wir bauen hier sozusagen gerade ein Haus…“ Da müsse man sein Geld eben zusammenhalten und deshalb „gehen wir beim Bezahlen von Rechnungen nicht in die Offensive“. Interessanter Ansatz, und wenn unsere Geschäftspartner das in Gänze verstanden haben, schicken sie die Mahnung vor der Rechnung. Oder wie eine Kollegin es ausdrückte: „Das Haus wird nicht fertig, wenn die Maurer abhauen, weil sie keinen Lohn bekommen.“ Beifall der Belegschaft, Lippenpressen bei Sailer.

Umzug: der Geschäftsführer redet Unsinn

Leider nicht fest genug, denn schon auf die nächste Frage rutscht ihm wieder eine Lüge als Antwort heraus: Wie es mit dem Umzug aussehe, möchte eine Kollegin wissen. „Prima“, sagt Sailer: Der Betriebsrat habe Vorschläge vorgelegt, die er jetzt an Personalchef Manfred Ries, respektive den Leiter der Zentralen Dienste, zur Umsetzung weitergegeben habe. Im März, suggeriert Sailer, könne umgezogen werden.

Wahr ist: Der Betriebsrat hat ein arbeitswissenschaftliches Gutachten anfertigen lassen, das belegt, was die Betroffenen ohnehin schon lange wissen. 80% der geplanten Arbeitsplätze entsprechen nicht den gesetzlichen Vorschriften. Die Neuplanung ist aber Aufgabe des Arbeitgebers. Der Betriebsrat hat keine neue Planung gemacht, sondern der GF nur einen gutgemeinten Tipp gegeben: Ohne die Anmietung weiterer Büroflächen wird es nicht funktionieren.

So weit, so wenig Neues unter der Sonne. Aber ganz zum Schluss erinnern wir uns an einen Satz, der dem ersten Redner herausgerutscht ist: „Ich bin erst 5 Wochen da“, hatte Tobias Winstel zu Beginn gesagt, „aber es kommt mir vor wie 5 Jahre.“ Ja genau, so fühlt sich WELTBILD an. Beam me up, Scotty…!

5 Kommentare:

  1. Respekt an den Schreiber!!! Unfassbar gut geschrieben und den Nagel voll auf den Kopf getroffen. Ein Lacher früh am Morgen, das braucht man hier, der Rest ist ja eher zum heulen....leider....

    AntwortenLöschen
  2. Treffende Zusammenfassung der bizarren Veranstaltung. Und herrlich zu lesen, habe mich königlich amüsiert. Danke!

    AntwortenLöschen
  3. Gut geschrieben und bestürzend/beschämend wie in diesem Unternehmen mit der wichtigsten Ressource Mensch umgegeangen wird. Ein deratiges Mass an Ignoranz und hochherrschaftlichem Führungsgebahren ist unfassbar. Blick zum Kalender - ja wir haben das 21. Jahrhundert.
    Ich kaufe mir einen Verlag weil ich so etwas noch nie hatte und umgebe mich lieber mit Speichelleckern anstatt Spezialisten, oder zumindest Profis mit wachsweichem Rückgrat. Dazu interessiere mich keinen Deut für die Menschen und deren Familien, weder in Deutschland noch beispielsweise in Bor, die verblüffender Weise immer noch mit Herzblut ihre Arbeit machen. Milliardär der mit Existenzen spielt, das ist Unternehmertum fern jeder Ethik. Armes Deutschland!


    AntwortenLöschen
  4. Ja, ja, wir leben in einer virtuellen Welt, in der die Wahrheiten etwas verschoben sind. Die Aussagen der GF erinnern auch ein bischen an die verquirlten Reden eines amerikanischen Präsidenten, der jetzt auch noch mit einer Space-Force die Welt wieder für sich gerade rücken will.

    AntwortenLöschen

Sie können Ihre Kommentare vollständig anonym abgeben. Wählen Sie dazu bei "Kommentar schreiben als..." die Option "anonym". Wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben wollen, wählen Sie die Option "Name/URL". Die Eingabe einer URL (Internet-Adresse) ist dabei nicht nötig.

Wir lassen Sie nicht allein! Klicken Sie auf das Logo.