Freitag, 23. April 2010

Das Wort zum Freitag: Frühlingsboten



Es muss Frühling sein. Die Anzeichen sind eindeutig. Im Kollegenkreis heuschnupfelt es gewaltig. Hinter den Spargel-Verkaufsbuden, die vor zwei Wochen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, liegen bereits die »Frische Erdbeeren«-Schilder und warten auf ihren Einsatz.

Frührentner-Heere sind ins Grüne ausgeschwärmt und ernten fleißig Löwenzahnblätter, die sie in Aldi-Tüten und Adidas-Sporttaschen stopfen und mit ihren Hercules-Fahrrädern nach Hause transportieren. Futter für die Stallhasen – oder die Tochter, die Vegetarierin ist.

Neben den Tankstelleneingängen stapeln sich Holzkohlesäcke, und mein Nachbar Herbert, ein Mann mit eisernen Prinzipien, schleppt einen Geranien-Träger nach dem anderen aus seinem Kombi in den Garten: zarte Pflänzchen, die – wie in jedem Frühling – bald schon gnadenlos von den Eisheiligen dahingerafft sein werden. Die Dehners und Obis reiben sich jetzt schon fröhlich die Hände.

Der Lenz ist da. Die erste Nacktschnecke auch. Gestern Abend habe ich sie dabei beobachtet, wie sie durchs nasse Vorgartengras kroch, schnurstracks auf die blutjungen Stockrosentriebe zu. Doch ich war noch nicht in Jagdlaune: zu kühl zum Schneckenkillen.

Wenn sich der blasse Zahnarzt von schräg gegenüber an einem Sonntagmorgen im April in sein enges Highway-61-Lederjäckchen zwängt, den schwarzen Jet-Helm aufsetzt und mit seiner blitzblank polierten Harley eine erste Runde dreht, kann man die Jahreszeitenuhr getrost auf Frühling stellen. Doch letzten Sonntag kehrte Mr. Easy Rider bereits nach einer Viertelstunde zurück, die Nase frostrot gefärbt. Ich hörte ihn fluchen, während er die Heizung in seiner Dreifachgarage aufdrehte – und mir kamen Zweifel. Ist wirklich schon Frühling?

Aber als ich vorgestern mit meinem Nachbarn Herbert (der mit den Geranien) beim Zaun-Talk über das Thema redete, meinte der nur trotzig: »Ich lass mir den Frühling nicht nehmen. Und ich bestimme, wann Frühling ist!«

»Ach so«, erwiderte ich, »und morgen kaufst du wieder neue Geranien im Baumarkt.« Darauf Herbert: »Na und? Was spricht denn gegen ein paar Frühlingsblumen, die kosten doch nicht die Welt.« »Okay«, sagte ich, »aber erst wenn deine dritte Geraniengarnitur schlapp gemacht hat, ist der Frühling wirklich da.« Worauf Herbert meinte: »Dieser Sommer wird nur ein ganz kurzer – und sowieso völlig verregnet. Da will ich jetzt was Blühendes haben, jetzt, verstehst du?«

»Alles klar, Herbert«, sagte ich, ging ins Haus und notierte in der Küche auf dem Einkaufszettel, gleich unter »Schneckenkorn«: »Frühlingszwiebeln«.




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