Montag, 11. Juni 2012

Bundeskonferenz der Betriebsräte aus dem Versandhandel

Wer sich erfolgreich für die Interessen der MitarbeiterInnen einsetzen will, muss sich vernetzen und Branchenwissen sammeln. Deshalb sind die WELTBILD-BetriebsrätInnen Visnja Bernhard, Peter Reichert-Meissl und Timm Boßmann im Mai zur 29. ver.di-Bundesarbeitstagung der Betriebsräte im Versandhandel nach Frankfurt gefahren. Hier ein Überblick.

Im Mittelpunkt der 3-tägigen Tagung standen die aktuellen Schließungspläne bei NECKERMANN. NECKERMANN gehörte einst zu Deutschlands führenden Versendern. Vor vier Jahren kaufte die amerikanische Kapitalgesellschaft Sun Capital 50% des Traditionsunternehmens. Nach der Arcandor-Pleite erwarb der Hedgefond auch die restlichen Anteile und ist nun alleiniger Besitzer.
 
NECKERMANN: Hunderte landen im sozialen Abseits
Das hat für die Belegschaft jetzt katastrophale Folgen. In der allgemeinen Krise des Versandhandels haben die Investoren sich zu einem brutalen Cut entschlossen: Die Textilsparte in Frankfurt soll dichtgemacht, der gesamte Versandbereich geschlossen werden. In der Logistik arbeiten derzeit 870 Menschen, darunter 220 Schwerbehinderte bzw. Gleichgestellte. 180 KollegInnen sind über 55 Jahre alt. Das heißt: für den überwiegenden Teil der Belegschaft führt die Kündigung geradewegs in Hartz IV!

NECKERMANN betreibt außerdem eins der größten Fotostudios in Deutschland, auch das soll geschlossen werden (knapp 100 Arbeitsplätze weg). Etwas besser sieht es für die KollegInnen im Bereich neckermann.de aus: Hier soll "nur" die Hälfte der Belegschaft gehen: wieder über 300 Menschen.

Betriebsrat schaltet die Politik ein

Die Eigentümer üben brutalen Druck auf den Betriebsrat aus, der den Entlassungen ohne Sozialplan und ohne Abfindungen zustimmen soll. Andernfalls drohen die Eigentümer, NECKERMANN direkt in die Insolvenz zu führen. An einem Rettungskonzept, das die Belegschaft gemeinsam mit ver.di und versierten Wirtschaftberatern erarbeitet hat, zeigen die Amerikaner kein Interesse. Alle konstruktiven Vorschläge werden freundlich aber entschieden abgelehnt. Der Betriebsrat hat jetzt die Politik eingeschaltet. Hessens Ministerpräsident Bouffier, will sich als Moderator vermittelnd einbringen. Geld für eine NECKERMANN-Rettung, das hat der CDU-Mann gleich klar gestellt, haben die KollegInnen aber keines zu erwarten.

Auch OTTO schleudert
Bei dem Hamburger Versandunternehmen kündigen sich ebenfalls schlimme Einschnitte an. Hier hat das Management sehr ehrgeizige Renditeziele für die gesamte Gruppe vorgeschrieben. Konzerntöchter, die diese nicht erreichen, sollen binnen kurzer Zeit verkauft oder geschlossen werden. Auch hier gilt offenbar: Geld zählt mehr als Loyalität gegenüber den MitarbeiterInnen.

WELTBILD Zukunftstarifvertrag ist wegweisend
Das gnadenlose Vorgehen der amerikanischen Eigentümer bei NECKERMANN zeigt, wie wichtig eine tarifvertragliche Absicherung ist, wenn ein Unternehmen verkauft werden soll. Entsprechenden Beifall erntete die Präsentation des Zukunftstarifvertrags, den die ver.di im Schulterschluss mit unserem BR durchgesetzt hat. Von einer solchen "Versicherungspolice" können die Beschäftigten bei anderen Versandhändlern nur träumen.

HESS NATUR: Genossenschaft will kaufen, darf aber nicht 

Die KollegInnen des Öko-Mode-Versanders haben eine andere Strategie gewählt, um ihr Unternehmen vor dem Zugriff skrupelloser Finanzinvestoren zu retten. Der Betriebsrat initiierte die Gründung einer Genossenschaft, die gemeinsam mit Banken und seriösen Investoren über 30 Millionen Euro aufstellte, um HESS NATUR selbst zu übernehmen. Auf dem Treffen der Versandhandels-BetriebsrätInnen waren die VertreterInnen von HESS NATUR noch optimistisch. Nach aktuellen Presseberichten scheint der derzeitige Eigentümer Primondo Specialty Group den MitarbeiterInnen aber einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ob bei dem Verkauf, der jetzt offenbar innerhalb weniger Tage abgewickelt wurde, alles mit rechten Dingen zugegangen ist, darüber gibt es geteilte Meinungen.

In der ganzen Branche kriselt es

Wohin man schaut: in allen Versandhandelsunternehmen gibt es derzeit wenig Anlass zur Freude. Eigentümerwechsel, der Einstieg von Heuschrecken, Chaos durch verbockte SAP-Einführungen, schlechte Umsätze – die KollegInnen haben alle ihr Päckchen zu tragen, und viele fürchten ganz konkret um ihre Jobs.

Wohin geht die Reise im Versandhandel?
Das wollten die Betriebsräte vom Chefredakteur der Fachzeitung VERSANDHAUSBERATER, Stephan Meixner, wissen. Meixner hielt einen sehr inspirierenden Vortrag und vertrat die These, dass es sinnlos sei, in Konkurrenz zum Platzhirschen Amazon treten zu wollen. Die klassischen Versender sollten sich auf ihr Stärken besinnen, z.B. ihre Erfahrung in der Katalogproduktion. Die Zukunft des Versandhandels sieht er in der Betonung von Alleinstellungsmerkmalen wie z.B. Eigenmarken und der Fokussierung auf klar definierte Zielgruppen.

Was meinen Sie? Ist WELTBILD mit seiner aktuellen Strategie gut aufgestellt? Nutzen Sie die Kommentarfunktion unter diesem Beitrag.

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