Ein Kommentar aus der ver.di-Mitgliederzeitung publik.
SOZIALSTAAT
Der Skandal ist ein anderer
Nicht die Essener Tafel, die Armut ist das Problem
MARIA KNIESBURGES (CHEFREDAKTEURIN DER VER.DI PUBLIK)
Was war das doch für eine Aufregung. Sogar die Kanzlerin hat sich zu Wort gemeldet und wissen lassen, so gehe es nicht. Anlass war die Ankündigung des Vorsitzenden der Essener Tafel, für die kommenden Monate nur noch Bedürftigen mit deutschem Pass Zugang zu den Lebensmittelspenden gewähren zu wollen. Grund sei der große Andrang junger Geflüchteter, die in Konflikte vor allem mit älteren deutschen Bedürftigen geraten seien. Ältere und alleinerziehende Mütter würden verdrängt, man ziehe daher die Notbremse. Und schon sahen sich die Ehrenamtlichen der Essener Tafel als Nazis beschimpft und von quasi höchster Regierungsstelle mit einem Tadel belegt. Große Aufregung über ehrenamtliche Tafelbetreiber, die sich nicht mehr anders zu helfen wussten.
Wo aber bleibt die große Aufregung über den eigentlichen Skandal? Dass nämlich hunderttausende Menschen in unserem Land ohne die Lebensmittelspenden der Tafeln hungern müssten, und der Staat seine Verantwortung aufs Ehrenamt abschiebt. Wo bleibt die Empörung über den beschämenden Tatbestand, dass die Armut sich immer weiter hinein in dieses boomende Land frisst? Wo bleibt das kategorische Wort der christlichen Kanzlerin, dass das auf keinen Fall so weitergehen darf? Nichts. Kein Wort. Alles schön in unserem prima Sozialstaat. Und demnächst soll es auch noch mehr Kindergeld geben, 10 Euro ab Januar 2019 und nochmals 15 ab 2021. Was will man mehr? Die Politik ist stolz auf sich. In Hartz-IV-Familien kommt allerdings auch damit kein Teller Suppe zusätzlich auf den Tisch. Denn Hartz-IV-Empfängern werden die paar Euro Kindergeld mehr als Einkommen wieder von dem mickrigen Regelsatz abgezogen, der sie als Bedürftige in die Tafeln treibt.
Damit das endlich anders wird, haben sich 30 Sozialverbände, Initiativen und Gewerkschaften zusammengetan und neuerlich das Wort erhoben. Sie wollen eine Erhöhung der Regelsätze um rund 30 Prozent, also um bis zu 150 Euro. Richtig. Noch besser aber wäre die Abschaffung des menschverachtenden Hartz-Regimes. Und zwar sofort.
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