Nicole Molthan leitet die Jokers-Filiale in Göttingen und ist Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende bei Weltbildplus/Jokers. Dieses Interview haben wir dem Hugendubel-ver.di-Blog entnommen. Vielen Dank an die KollegInnen für den tollen Text!
Infoblog: Wann warst Du eigentlich das letzte Mal in einem Media-Markt?
Nicole Molthan: Mein letzter Besuch in einem Media Markt ist schon etwas länger her. Ich persönlich schätze eine ruhige und angenehme Verkaufsatmosphäre und das ist für mich bei den meisten Media-Märkten nicht gegeben. Laute Musikberieselung und aggressive, sich penetrant wiederholende Dauerwerbung aus den Lautsprechern ist nicht so nach meinem Geschmack. Außerdem bin ich selten fündig geworden, was z.B. Filme jenseits der aktuellen Blockbuster und Massenware angeht. Daher meide ich die Läden eher.
Infoblog: Weißt Du, was die Weltbildplus- und die Jokers-Filialen mit Media-Markt gemeinsam haben?
Nicole Molthan: Ja, leider. Media Markt ist genauso wie Weltbildplus/Jokers eine bundesweit agierende Verkaufskette mit ca. 230 stationären Filialen. Von diesen ca. 230 Filialen haben meines Wissens bisher nur zwei Filialen einen Betriebsrat gewählt. Und da kommen wir auf die Gemeinsamkeit. Bei den über 250 Filialen von Weltbildplus/Jokers haben bisher auch nur zwei Filialen einen jeweils einköpfigen Betriebsrat gewählt.
Infoblog: Warum gibt es so wenige BR bei Weltbildplus/Jokers?
Nicole Molthan: Von den über 250 Filialen müsst ihr erstmal ca. 77 Filialen abziehen, die aufgrund ihrer Mitarbeiterstruktur (weniger als fünf Beschäftigte in der Filiale, laut BetrVG ist erst ab fünf Beschäftigten eine BR Wahl möglich) zur Zeit nicht in der Lage sind, selber einen BR zu wählen, obwohl ich Kenntnis von Filialen habe, die dieses sehr gerne tun möchten. Mit dieser Problematik, die sicherlich in Zukunft immer mehr Einzelhandelsketten betreffen wird (stetiger Personalabbau), müsste sich mal der Gesetzgeber beschäftigen. Das BetrVG stammt leider aus einer Zeit, in der es nicht so viele Ketten mit Minibesetzung gab.
Infoblog: Und bei einer Zusammenlegung von Filialen, zwecks Ermöglichung von BR Wahlen, müsste die Geschäftsführung einverstanden sein, oder?
Nicole Molthan: Ja. Bei den restlichen ca. 180 Filialen (die Zahl schwankt ständig, bedingt durch Filialschließungen und durch den Zuwachs der Wohlthat’s Filialen im Bundesgebiet) kann ich natürlich nur Vermutungen anstellen. Zum einen gab es vor 2009 keinen Betriebsrat im Unternehmen. Das heißt, für viele Kolleginnen und Kollegen ist das Thema „Betriebsrat“ und alles, was damit zusammen hängt, ein gänzlich unerforschtes Themengebiet. In der Schule lernt man nichts über Betriebsräte, in vielen Studiengängen vermutlich auch nicht und so kann es durchaus sein, dass man sein gesamtes bisheriges Berufsleben ohne Kenntnis von Betriebsräten und Betriebsratsarbeit durchlaufen hat. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen herrscht noch viel Unsicherheit und Angst. „Was kommt da auf mich zu?“ „Kann ich das überhaupt?“ „Was wird mein Vorgesetzter sagen?“
Infoblog: Was gab bei Dir den Anstoß?
Nicole Molthan: Ich selber bin auch erst nach der Entlassungswelle im Mai 2009 aufgerüttelt worden und habe mich daraufhin mal etwas näher mit dem Thema BR befasst. Daher habe ich viel Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen, die noch zögern und unsicher sind. Es ist eine Art Denk- und Lernprozess, der sich entwickeln muss und sich auch entwickeln wird.
Infoblog: Was sind die Hauptschwierigkeiten, einen neuen BR zu bilden?
Nicole Molthan: Eigentlich gibt es keine Schwierigkeiten. Die formalen juristischen Wege sind einzuhalten, dabei hilft der GBR (Gesamtbetriebsrat). Interessierten Kolleginnen und Kollegen werden Seminarangebote gemacht, damit die BR Wahl korrekt abläuft. Niemand wird alleine gelassen.
Ganz wichtig ist meiner Einschätzung nach aber, dass das gesamte Team in der Filiale die interessierte Kollegin, den interessierten Kollegen unterstützt. Quasi eine Art Gemeinschaftsentscheidung. Denn die dann hoffentlich erfolgreiche und konsequente Betriebsratsarbeit kommt letztlich dem gesamten Team zugute. Am Anfang wird es sicherlich ein wenig holprig, bis sich die Betriebsratsarbeit wie selbstverständlich in den Arbeitsalltag integriert. Aber auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. An dieser Stelle auch ein ganz herzliches Dankeschön an mein eigenes Team für die Unterstützung und das Verständnis.
Infoblog: Wenn KollegInnen einen BR gründen wollen, was sollten Sie als erstes tun?
Nicole Molthan: Als erstes prüfen, ob die formalen Voraussetzungen vorliegen. Die Personalstruktur ändert sich in den Filialen derart rasant, dass die Listen, die dem GBR vorliegen, meist nur Makulatur sind. Wenn die BR Gründung jedoch möglich ist und der Entschluss feststeht, sollte sich die/der künftige BR zwei Getreue aus der Filiale für den Wahlvorstand an die Seite holen und dann Kontakt mit dem GBR aufnehmen.
Infoblog: Das Management von Media-Markt unternimmt alles, um die Bildung von BR zu behindern. Gibt es ähnliche Erfahrungen bei Weltbildplus/Jokers?
Nicole Molthan: Nach eigener Aussage hat die Geschäftsführung nichts gegen BR Wahlen, wenn sie juristisch korrekt ablaufen. Der GBR hat bereits Wahlvorstände für einige Filialen benannt und die BR Wahlen werden in allernächster Zukunft durchgeführt werden. Ich hoffe nicht, dass es zu Behinderungen kommen wird.
Infoblog: Seit wann bist Du Betriebsrätin?
Infoblog: Es war bestimmt nicht immer ganz einfach, oder?
Nicole Molthan: Der Anfang war wirklich nicht ganz einfach. Da es keine bereits existierenden Betriebsräte gab oder wenigstens das Gremium aus mehr als einer Person beständen hätte, wusste ich am Anfang auch nicht so recht, was da auf mich zukommen würde und was ich jetzt eigentlich tun muss. Anders als in anderen Betrieben, wo der BR in der Regel doch zumindest aus drei Personen aufwärts besteht, konnte ich keinen gewieften, langjährigen, mit allen Wassern gewaschenen BR-Kollegen um Rat und Beistand fragen. Daher dauerte vieles natürlich etwas länger. Aber mittlerweile bestehen enge Kontakte zu meinen BR Kollegen von Hugendubel; der Verlagsgruppe Weltbild; DBH Warenhaus; Deuerlich; Weiland; Schmorl & von Seefeld und Wohlthat’s.
Infoblog: Und seit wann bist Du GBR-Vorsitzende?
Nicole Molthan: Nach einigen Anlaufschwierigkeiten (das „Börsenblatt“ berichtete im April 2010, dass der Gesamtbetriebsrat nicht kommen würde) bin ich seit Juli 2010 die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, der zur Zeit naturgemäß nur aus zwei Mitgliedern besteht. Aber ich bin zuversichtlich, was die Erhöhung der Mitgliederzahl angeht (lacht).
Infoblog: Was sind Deine Hauptaufgaben als GBR-Vorsitzende?
Nicole Molthan: Meine Hauptaufgabe ist sicherlich, den Kolleginnen und Kollegen bei Fragen rund um das Thema „Betriebsrat“ und „Betriebsratsarbeit“ mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dazu gehören Informationen allgemeiner Art, aber auch die persönliche Beratung und Unterstützung. Und natürlich viel Überzeugungsarbeit, Aufklärungsarbeit und Ermunterung. Ich denke, bei vielen Kolleginnen und Kollegen erwächst jetzt so langsam ein Bewusstsein dafür, dass sie nicht ohne Rechte sind, aber dass sie für die Durchsetzung dieser Rechte selber aktiv werden müssen. Und dabei wird sie der GBR unterstützen. Der GBR bietet Hilfe zur Selbsthilfe.
Infoblog: Was war/ist für Dich die verblüffendste Erkenntnis als BR/GBR-Vorsitzende?
Nicole Molthan: Dass die Betriebsratsarbeit wirklich Spaß machen kann. Ich hatte am Anfang nur diffuse Vorstellungen. Ich dachte, man muss sich nur mit trockenen Gesetzestexten und Vorschriften beschäftigen. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, wie interessant und spannend es ist, dass Betriebsverfassungsgesetzt mit Leben zu erfüllen. Natürlich stößt man immer wieder auf Schwierigkeiten und auf den ersten Blick schier unüberwindbare Hindernisse, die einen kurzzeitig vielleicht entmutigen. Aber dann steht man wieder auf und versucht einen anderen Weg.
Infoblog: Was ist Deiner Meinung nach wichtig für die Betriebsratsarbeit?
Nicole Molthan: Beharrlichkeit, Neugierde, Lernbereitschaft, Gerechtigkeitssinn, Konfliktfähigkeit und Humor.
Und natürlich auch der Mut, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Ich glaube, Passivität, vielleicht aus Angst etwas falsch zu machen, ist der größte Feind erfolgreicher Betriebsratsarbeit.
Infoblog: Wie kommunizierst Du mit den Kolleginnen und Kollegen in den Filialen?
Nicole Molthan: Jede Kollegin und jeder Kollege hat zwei persönliche Info Briefe des GBR bekommen, in denen es um die Voraussetzungen und die Notwendigkeit der BR Wahl ging.
Da es sich um räumlich weit voneinander entfernte Filialen handelt, bleibt mir oft nur das Mittel der Rundmail. Diese Wahl der Kommunikation ist nicht ganz zufriedenstellend, da die Rundmails des GBR in der Flut der täglichen Filialmails leicht untergehen können. Aber die Information über Mails entspricht den Gepflogenheiten des Unternehmens. Dies leuchtet auch ein, wenn man sich klar macht, dass es schier unmöglich ist, komplexe und auch nicht für die Öffentlichkeit gedachte Themen wie die BR Wahl am Telefon zu besprechen, wenn man in Einerbesetzung im Laden an der Kasse steht. Andererseits hat das BetrVG ganz klar festgelegt, dass es jedem Mitarbeiter möglich sein muss, während seiner Arbeitszeit mit dem GBR Kontakt aufzunehmen. Daher bleibt die Mail vorerst wohl die erste Wahl. Jeder Mitarbeiter kann aber auch gerne telefonisch mit dem GBR Kontakt aufnehmen und in gemeinsamer Abstimmung wird sich bestimmt die Möglichkeit für ein ausführliches Telefongespräch finden.
Infoblog: Trotz allem geht es in unserem Beruf immer noch um Bücher:
Wenn Du nach Job und Betriebsratsarbeit noch Zeit hast - welches Buch liest Du gerade bzw. kannst Du den Leserinnen und Lesern des Infoblogs empfehlen?
Nicole Molthan: Ich bin leider auch der Unsitte verfallen, wie vermutlich viele leidenschaftliche Buchliebhaber, dass ich meistens mehrere Bücher gleichzeitig lese. Eigentlich möchte ich mich immer nur auf ein Buch konzentrieren, dann kommt doch wieder ein neues spannendes Buch dazwischen. Zur Zeit lese ich also als „Hauptbuch“ von Lea Singer „Vier Farben der Treue“ und erfreue mich sehr am Sprachstil. Gleichzeitig sind folgende vier Bücher angelesen und warten auf die Entscheidung, welches von ihnen das nächste „Hauptbuch“ wird. Von Eckart Kleßmann „Universitätsmamsellen“ mit Bezug zu Göttingen; „Als Poesie gut – Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807“ von Günter de Bruyn; „Witwe im Wahn“ von Oliver Hilmes oder doch „Drood“ von Dan Simmons. Mal sehen.
Infoblog: Und ganz allgemein: Gibt es einen Autoren oder Bücher für dich, die du immer wieder lesen könntest, quasi „all time favourites“?
Nicole Molthan: Oh je, wenn ich die alle aufzählen würde, könntet ihr euren Blog vermutlich wegen Speicherkapazitätüberschreitung schließen (grinst).
Ich versuche mich also zu beschränken. Lieblingsautoren/innen sind für mich Jane Austen, Arthur Schnitzler, Thomas Mann, Theodor Fontane, Henry James, Elisabeth von Arnim, Oscar Wilde, Edgar Allan Poe, die Brontës und um wenigstens noch zwei zu nennen, die noch nicht seit Ewigkeiten vor sich hin modern ....
Sven Regener und Max Goldt.
Infoblog: Liebe Nicole, vielen Dank für das sehr aufschlußreiche Gespräch und die Literatur-Tips zum Schluß! Wir wünschen Dir für Deine Arbeit als Betriebsrätin und GBR-Vorsitzende viel Kraft, Geschick und die notwendige Portion Humor!
Nicole Molthan ist unter folgenden Kontakt-Mail-Adressen zu erreichen:
nicole.molthan@wbpd.de
gbr-welt-bild-plus@web.de
Zum Weiterlesen ein Situationsbericht eines Kollegen von Weltbildplus: "Das Weltbild von Weltbild"
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