Freitag, 5. November 2010

Das Wort zum Freitag: Streiken erlaubt


Wenn in Deutschland Busfahrer, Fluglotsen, Müllmänner oder Bademeister streiken, was ja bei tariflicher Disharmonie ihr gutes Recht ist, schraubt sich der Volkszorn schnell in luftige Höhen. Warum? Weil viele Bundesbürger sich in ihren Grundrechten beeinträchtigt fühlen. Dabei ist im Grundgesetzt überhaupt nicht die Rede vom Recht auf planmäßigen Abflug nach Gran Canaria, vom Recht auf pünktliche Entleerung vollgestopfter Mülltonnen, vom Recht auf auf die samstägliche Chlor-Kur im städtischen Hallenbad.

Der Durchschnittsdeutsche liebt es halt, wenn alles seine Ordnung hat, und hasst es, wenn jemand seine Planungen und Termine durcheinander bringt. Schließlich hat er schon genug Chaos in der Ehe, im Elternbeirat und in seiner viel zu kleinen Doppelgarage. Und dann soll er sich die letzten verlässlichen, sicheren Bastionen eines immer turbulenter werdenden Lebens von ein paar Verdis und anderen Relikten einer längst vergangenen Epoche kaputt machen lassen? Nein, das wäre zu viel verlangt.

Und komme jetzt bitte keiner mit der abgedroschenen Platitüde, wo da die Solidarität bliebe! Schließlich haben Hanna Normala und Maximilian Mustermann im vreganegnen Jahr bereits reichlich für die Erdbebenopfer in der Karibik und die DHAH (Deutsche Hilfsorganisation für ausgesetzte Haustiere) gespendet.

Der Deutsche ist da ja ganz anders als etwa sein Nachbar westlich des Rheins. Monsieur Filou geht so selbstverständlich und mit Lust zum Streiken wie Herr Meier in seine geliebte Stammkneipe oder zum Kegeln. Die Nachfahren von Villon und Robespierre haben halt noch reichlich aufmüpfige Revolutionärsgene in der Erbgutmasse. Während bei uns Alemannen nach wie vor der Anteil obrigkeitshöriger Kuschgene dominiert. (Natürlich gibt es hin und wieder Mutationen – wie z.B. erkennbar bei Stuttgart-21-Gegnern.)

Schon seltsam, wenn die Franzmänner und -frauen ohne mit der Wimper zu zucken das ganze Land lahmlegen – nur weil ihnen die Rentenpläne der Regierung missfallen! Wenn in Deutschland die Hundefriseure aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen ihre Salons einen Tag schließen, redet man schon von Landesverrat und Staatsstreichversuch – und manch einer wünscht sich vielleicht wieder eine schlagkräftige Organisation herbei, die ohne viel behördliches Brimborium schnell und wirksam eingreifen darf: zum Wohl der Allgemeinheit – und der Pudelmuttis.

Selbstverständlich muss Streiken erlaubt sein – aber bitte nicht am Pfingstsamstag, wenn auf dem Münchener Flughafen mein Airbus darauf wartet, mich nach Domrep oder Malle zu bringen, damit ich meinen Teint auffrischen kann. Und erst recht nicht morgen früh, wenn ich unbedingt den Bus erwischen muss, um pünktlich beim NKD zu sein. Schließlich will ich mir die 3-in-1-Funktionsjacke zum Hammerpreis nicht von Hinz & Kunz vor der Nase wegschnappen lassen. Nicht auszudenken, wenn ich Hinz oder Kunz eines Tages treffe würde: in »meiner« Jacke – und darüber ein signalfarbenes Leibchen gezogen mit der Aufschrift: Streikposten.

2 Kommentare:

  1. Hoppla! Unser "Schreiberling mit Niveau" hat wieder zugeschlagen! Mal wieder viel Witz,Ironie und Spott gekonnt zusammengemischt! Im Gegensatz zu dem Schmarrn (Hochdeutsch: Blödsinn), der hier oft steht, wieder amüsant zu lesen. Und man erkennt sich selbst natürlich wieder, oder ?
    Ja, die Schmerzgrenze bei "den Deutschen" liegt halt wirklich hoch, deutlich höher als die heimische Sofakante. Und die Alt-68er, die dem Staat noch mehr als deutlich klar gemacht haben, wo die Grenzen liegen, sind heute unsere Führungskräfte! Also, was will man erwarten? Es geht ums Thema! Ein bisschen Grün muss es schon sein - gegen Stuttgart 21 oder Startbahn West und Atomkraft ist es "schick" zu demonstrieren - für den eigenen Geldbeutel weniger! Wie gesagt, die Schmerzgrenze liegt bei uns hoch, höher als bei unseren lieben Nachbarn. Oder war's so nicht schon immer...?
    Der "Altgediente"

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  2. Freu mich schon drauf, wenn der Verfasser mit Kind und Kegel am Flughafen steht – und es wird gestreikt.

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