Wer Krisen und Kriege weltweit eindämmen will, muss hierzulande
anfangen, Ressourcen und Chancen umzuschichten. Das Bündnis Reichtum
umverteilen - ein gerechtes Land für alle fordert das Umsteuern ein.
Die Welt in gefährlichem Krisenmodus, in Afrika Millionen Menschen
vom Hungertod bedroht, Zuspitzung statt Deeskalation in Dutzenden von
Kriegen rund um den Globus, ein globaler Rechtsruck mit Populisten wie
Trump, Erdogan, Le Pen, Orbán und Kumpanen an der Spitze - und in
Bundesdeutschland haben weite Kreise der Zivilgesellschaft nichts
anderes im Kopf als die "Umverteilung" von Vermögen, Einkommen und
Gewinnen? Dass seit Jahrzehnten "soziale Ungleichheit, Unsicherheit und
Ungerechtigkeit" wachsen: Ist das nicht eine Binsenweisheit genau wie
die resignative Erkenntnis, dass "man da eben nichts machen" kann?
Nein, sagen die Aktiven eines breiten neuen Bündnisses aus
Organisationen und Einzelpersonen: "Wir können ein besseres und
gerechtes Land für alle schaffen, die hier leben. In Deutschland gibt es
so viel Reichtum wie nie zuvor, wir müssen ihn endlich vernünftig
verteilen und gerecht einsetzen", heißt es in einem Aufruf.
Denn der Reichtum in Deutschland hat auch und gerade etwas zu tun mit
Krisen und Kriegen weltweit, deren Ursachen letztlich immer in der
ungleichen und ungerechten Verteilung von Ressourcen und Chancen zu
suchen sind.
Hinter dem Bündnis
Reichtum umverteilen versammelt sich ein
erstaunlich breites Spektrum an Organisationen der Zivilgesellschaft, zu
denen, um nur die größten und bekanntesten zu nennen, die
DGB-Gewerkschaften ver.di und GEW, die Sozialverbände SoVD, VdK,
Volkssolidarität und der Paritätische, der AWO-Bundesverband und die
Nationale Armutskonferenz gehören.
Weiterhin: Oxfam Deutschland, Attac, "Die Tafeln", der Kirchliche
Dienst in der Arbeitswelt, die Katholische Arbeitnehmerbewegung, der
Deutsche Kinderschutzbund, der Deutsche Mieterbund, die NaturFreunde
Deutschlands, der Deutsche Bundesjugendring, der Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND) und aus dem parteipolitischen Spektrum
die Parteien Bündnis 90 / Die Grünen und "Die Linke", das Forum
Demokratische Linke / Die Linke in der SPD, die Grüne Jugend, die
Linksjugend ‘solid und die Jungsozialisten in der SPD (Jusos). In einer
Reihe von Städten und Regionen gibt es bereits aktive lokale Bündnisse.
Mehr Mittel für öffentliche Aufgaben
Genau darum geht es bei dem Bündnis, das im Wahljahr 2017 nicht nur
in Nordrhein-Westfalen, sondern auch bundesweit auf die Diskrepanz
aufmerksam machen will zwischen den wachsenden Privatvermögen einiger
Weniger und dem grassierenden Geldmangel für öffentliche Aufgaben wie
Kitafinanzierung, gute Pflege und anderes. "Die aktuellen
Steuereinnahmen reichen ganz offenkundig nicht für die Schaffung
bezahlbaren Wohnraums, eine bessere Bildung und auch nicht für mehr
Betriebsprüfer, die Steuerhinterziehung aufdecken", sagt Uwe Foullong.
Auch da stimmt der Minister zu und betont, dass NRW diverse
Bundesratsinitiativen auf den Weg gebracht hat, die für mehr
Steuergerechtigkeit sorgen sollten, wegen der fehlenden Mehrheiten
bisher aber nicht durchsetzbar waren. Als im Gespräch das Wort
"Steuersünder" fällt, kontert Walter-Borjans, das sei verharmlosend, es
handele sich um Steuerbetrüger, die als solche benannt und bestraft
werden müssten.
In der Bundesrepublik ist inzwischen eine Generation herangewachsen,
die gar keine Vermögenssteuer mehr kennt. Tatsächlich gab es eine solche
Steuer bis 1996. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
1995 wurde sie ausgesetzt - allerdings nicht etwa, weil die
Richter/innen grundsätzlich die Verfassungsmäßigkeit der Vermögenssteuer
in Zweifel zogen, sondern weil sie die ungleiche Steuerbemessung bei
Geldvermögen im Vergleich zu Immobilienvermögen für verfassungswidrig
erklärten. Seitdem hätte es demnach sehr viel Zeit gegeben, die
Vermögenssteuer neu und verfassungskonform zu regeln. Doch das geschah
nicht.
Vermögenssteuer wieder einführen!
In einer Hintergrundinformation des Bündnisses "Reichtum umverteilen"
werden akribisch die Vorteile einer Wiedereinführung der
Vermögenssteuer aufgeführt, die in jedem Fall nur die wirklich Reichen
zahlen sollten. "Bei einem Freibetrag von einer Million Euro wären
schätzungsweise 400.000 Personen betroffen - die Reichsten unserer
Gesellschaft, jenes eine Prozent der Bevölkerung, das etwa ein Drittel
des Gesamtvermögens besitzt." Denn auch während der Wirtschaftskrise
sind die Vermögen der Superreichen keineswegs geschrumpft. Vielmehr
haben sie weiter kräftig an Umfang zugelegt und betragen derzeit mehr
als 2,5 Billionen Euro - was übrigens, wie das Bündnis schreibt, mehr
ist, "als alle öffentlichen Haushalte zusammen an Schulden haben".
Doch dem Bündnis geht es nicht allein um die Wiedereinführung der
Vermögenssteuer, um den Not leidenden Haushalten der Länder und Kommunen
die nötigen Mittel für Investitionen in die soziale Infrastruktur zu
verschaffen. Falsch seien ebenfalls die Senkung des Spitzensteuersatzes
für hohe und höchste Einkommen sowie die pauschale Besteuerung der
Kapitalerträge mit nur 25 Prozent gewesen. Auch NRW-Finanzminister
Walter-Borjans sprach sich Anfang April klar dafür aus, die Einkünfte
aus Kapital künftig differenzierter zu besteuern. Der ver.di-Vorsitzende
Frank Bsirske hatte Ende März in Berlin bei der Präsentation des
Bündnisses "Reichtum umverteilen" auf Bundesebene ebenso klargestellt:
"Kapitalerträge dürfen gegenüber Arbeitseinkommen nicht weiter
privilegiert werden."
Die Armen tragen die höchsten Lasten
Faktisch bringen mittlerweile wegen der ungerechten Steuerpolitik der
zurückliegenden zwanzig Jahre die ärmeren und ärmsten Teile der
Bevölkerung die meisten Steuern auf. Betrachtet man nur die
Einkommenssteuer, tragen die einkommensstärksten zehn Prozent der
Bürger/innen mit 59 Prozent tatsächlich den größten Teil an dieser
Steuer, heißt es in der Hintergrundinformation des Bündnisses mit Bezug
auf die aktuelle Studie Wer trägt die Steuerlast? (HBS-Study Nr. 347,
2016). Allerdings sage das wenig über die gesamte Lastenverteilung aus.
"Einen großen Teil des Gesamtsteueraufkommens machen die Konsumsteuern
aus (Mehrwert-, Energie-, Alkohol-, Tabak-, Versicherungssteuer,
Grundsteuer, Kfz.-Steuer usw.)", heißt es im Hintergrundbericht. Würden
direkte und indirekte Steuern zusammen betrachtet, ergebe sich eine
überproportionale Belastung der unteren gegenüber den mittleren
Einkommensgruppen, während die der Reichen nur geringfügig über deren
Belastung liege. Und so sei ein zentrales Ergebnis der Studie
Wer trägt
die Steuerlast?, dass "die Steuerreformen seit Ende der 1990er Jahre
dazu geführt haben, dass die reichen Haushalte steuerlich stark
entlastet wurden, während die untere Hälfte und besonders die armen
Haushalte erheblich mehr Steuer zahlen müssen als früher".
Bis Ende der 90er Jahre betrug der Spitzensteuersatz 53 Prozent. Die
damalige rot-grüne Bundesregierung senkte ihn auf 42 Prozent. Mit diesem
Satz wird Einkommen besteuert, das bei Singles ohne Kinder über 52.057
Euro hinausgeht; die Reichensteuer in Höhe von 45 Prozent wird erst für
alles erhoben, was bei Singles ein Jahreseinkommen von 256.304 Euro
übersteigt.
Durch Grundfreibetrag, niedrigere Besteuerung bis zum Spitzensatz
sowie durch den Abzug steuermindernder Aufwendungen kommt am Ende bei
den Wohlhabenden eine viel geringere Steuerquote heraus. "Bei 54.000
Euro liegt die Gesamtbelastung etwa bei 26 Prozent, nicht etwa 42
Prozent", heißt es im Bericht. Auf der anderen Seite bedeutete die
Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent eine erhebliche
Mehrbelastung der schlechter gestellten Bevölkerungsschichten.
Bei ihren Informationsveranstaltungen in der Düsseldorfer Innenstadt
erhalten die Bündnis-Aktivist/innen regelmäßig sehr viel Zustimmung von
den Passant/innen. "Ich muss eine Menge erklären, aber die Leute
interessieren sich sehr für unsere Themen", stellt die
ver.di-Ehrenamtliche Martine Sczigiol-Weber bei ihren Einsätzen immer
wieder fest. Und fast jede/r könne ein Beispiel aus dem eigenen Umfeld
beisteuern, wo durchs Kaputtsparen etwa eine Turnhalle marode geworden
oder das Personal einer Krankenhausstation durch Unterbesetzung komplett
überlastet sei. "Es sind auch schon erkennbar gut betuchte
Mitbürger/innen zu uns gekommen und haben gesagt, dass sie nichts gegen
eine höhere Belastung hätten", sagt Uwe Foullong. Das Thema "Reichtum
umverteilen" scheint überall in der Gesellschaft angekommen zu sein.