+ Weihnachtsausgabe +
Da der ehrwürdige Kardinal aus München zu Weihnachten natürlich seine Münchener Schäfchen betreuen muss, obliegt es wieder uns, das Füllhorn der Worte seiner Güte und Menschenfreundlichkeit über euch Weltbild-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuschütten, egal welchem Glauben ihr anhängen möget.
Auf Seite 29 seiner von der Weisheit Gottes erleuchteten Pattloch-Schrift „Das Kapital“ spricht sich Kardinal Marx ohne Wenn und Aber für den Kapitalismus aus. Unter anderem weil außerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems die große Zahl der heute weltweit lebenden Menschen nicht mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen versorgt werden könnte. Wie bitte? Meint der Kardinal das wirklich ernst? Soweit wir wissen, ist der Kommunismus/Sozialismus weltweit praktisch untergegangen, weil er genau das nicht konnte: die Weltbevölkerung ernähren. Seit etwa 20 Jahren herrscht deshalb der Kapitalismus praktisch unbeschränkt und weltweit. Aber wir haben nicht feststellen können, dass er die Weltbevölkerung mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen, von denen Kardinal Marx spricht, versorgen könnte. Nichts ist besser geworden, aber vieles schlimmer. Eine Krise jagt die nächste. Ganze Staaten werden von ein paar Verbrechern in den Untergang gestürzt. Millionen, ja Milliarden sind von den negativen Segnungen des Systems Kapitalismus immer mehr im Alltag betroffen.
Klar: So, wie er jetzt ist, stellt sich Herr Marx den Kapitalismus natürlich nicht vor. Auf Seite 30 outet er sich als Anhänger des Mainzer Bischofs Ketteler, der schon 1869 gefordert habe, für die unbestreitbaren einzelnen schlimmen Folgen des Kapitalismus die entsprechenden Heilmittel zu suchen und auch die Arbeiter, soweit möglich, an dem, was an dem System gut ist, an dessen Segnungen, Anteil nehmen zu lassen. Aha! Kardinal Marx ist also sowas wie ein „Reformkapitalist“ ähnlich den „Reformkommunisten“. Wenn Theorie und Wirklichkeit nicht übereinstimmen, sagt man einfach: Naja, so wie der Kapitalismus ist, ist er natürlich nicht richtig. Aber mit kleinen Änderungen wäre er super! Das haben, wie gesagt, auch schon die Kommunisten versucht und sind gescheitert. Mindestens seit 1869, als Bischof Ketteler seine Stimme erhob, hätte der Kapitalismus die Möglichkeit gehabt, „die entsprechenden Heilmittel“ zu suchen – hat es aber nicht getan oder die „Heilmittel“ nicht gefunden. Und was heißt es die Arbeiter an den Segnungen des Kapitalismus teilnehmen zu lassen „soweit es möglich ist“. Soweit es möglich ist: Was meint Ketteler, was meinen Sie damit konkret? Sollen die Segnungen des Kapitalismus nach Intelligenzquotient auf die Arbeiter verteilt werden? Oder nach Bedürftigkeit? Nach Leistung? Nach Glaubenszugehörigkeit? Nach sozialen Faktoren wie Behinderung, Kinderanzahl etc. Die Definitionsmacht darüber hat wer? Der Kapitalist? Oder Sie als Kardinal? Oder ein Ethik-Gremium, in dem sich Kirchenbeamte profilieren können?
Die Geschichte hat bewiesen: Weder wird der Kommunismus ein menschliches Antlitz bekommen noch der Kapitalismus. Und ob sie wollen oder nicht: Auch den Kapitalismus wird es nicht ewig geben. Wir erleben gerade seine Transformation in ein neues System, wobei wir alle nicht sagen können, was am Ende dabei herauskommt. Jedenfalls sind weltweite Bewegungen am Entstehen und Kräfte am Werk, die den Nutznießern des Kapitalismus, zu denen wir auch die Kirche zählen (oder würden sie sich anders für dieses System einsetzen?), eines Tages das Handwerk legen. Der Kapitalismus wird nicht „gezähmt“, wie sie es wollen, sondern genauso überwunden wie der Kommunismus. In Deutschland haben Sie mit Ihrer Kirche davon profitiert, dass nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus keine anderen ethischen Institutionen mehr vorhanden waren als die Kirchen. Aber die Nachkriegszeit ist vorbei und es ist besser, sie richten sich mit ihrer Kirche etwas schneller darauf ein. Ihr Oberhaupt in Rom scheint ihnen in dieser Richtung schon ein paar Schritte voraus zu sein: Stichwort „Entweltlichung“, Aufgabe der Kirchensteuer, Rückzug aus weltlichen Unternehmen …
Auf Seite 31 schreiben Sie, dass Sie glauben, dass soziale Beziehungen nicht nur effizient, sondern auch gerecht gestaltet werden könnten. Warum lassen Sie uns Weltbildmitarbeiterinnen dann dafür bezahlen, dass Sie selbst es nicht unterbunden haben, die deutschen Buchdatenbanken bei Weltbild und seinen Ableger-Firmen zu übernehmen? Nicht das eigene Programm von Weltbild ist das Problem in Richtung Erotik und Esoterik, sondern die an Weltbild angeflanschten KNV- und Libri-Datenbanken. Aber Sie oder ihre Vertreter haben nichts dagegen gehabt, dass sie von der Geschäftsführung eingebaut wurden. Warum? Hat man Ihnen noch mehr Umsatz und Gewinn versprochen? Und warum haben Sie es seit vielen Jahren zugelassen, dass Weltbild überall im Land einen Schmalspurbuchhandel implementiert, der vielen „richtigen“ Buchhändlern die Existenz kaputt gemacht hat? Oder warum haben Sie es zugelassen, dass Weltbild eine Firma nach der anderen aufgekauft oder sich daran beteiligt hat? Auch dadurch sind Arbeitsplätze zerstört worden. Und von guten Arbeitsbedingungen in ihrem kirchlichen Bücherreich kann nicht die Rede sein. Wenn sie mit Weltbild-Buchhändlern in München sprechen würden, könnten Sie das erfahren. War dieser Ausbau des katholischen Weltbild-Buchimperiums nicht viele Jahre genau auf Ihrer kapitalistischen Linie? Haben Sie am Beispiel von Weltbild zeigen wollen, wie ein „gezähmter“ Kapitalismus aussieht?
Vielleicht erfahren wir ja in Ihren Sonntagssprüchen nächstes Mal mehr dazu. Jedenfalls fühlen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Weltbild uns jetzt zu Weihnachten ähnlich wie der liebe Jesus in der Krippe: Hilflos und nackt müssen wir sehen, wie Sie und eine Handvoll Menschen über unser Schicksal bestimmen und uns schwant, dass am Ende dieses Weges das Kreuz steht.