Freitag, 4. März 2011

Das Wort zum Freitag: Mit und ohne Titel

Mein Freund Klaus beichtete mir kürzlich, er habe, als er 9 Jahre alt war, seinen Sportlehrer bestochen, um das Fahrtenschwimmer-Abzeichen mit entsprechender Urkunde zu bekommen. Einen Sommer lang jeden Samstag vormittag den ockerfarbenen Opel Rekord des Paukers waschen – das war der Preis für die Befreiung von der Pflicht, vom 3-Meter-Brett zu springen. Schon damals litt der gute Klaus so schrecklich an Höhenangst.

Jahrzehnte später, nach Bekanntwerden der Guttenbergschen Doktor-Spiele, meldete sich bei Klaus das schlechte Gewissen. Sofort hat er einen Brief an die Präsidentin des Deutschen Schwimmverbandes geschickt – mit der Botschaft, er fühle sich schuldig und wolle fortan auf seinen Fahrtenschwimmer-Titel verzichten. Die vergilbte, zerknitterte Urkunde fügte er dem Schreiben bei.

»Bist du sicher, dass das reicht«, hatte ich Klaus gefragt. »Meinst du nicht, dass du zurücktreten musst?« Und so ist mein Freund Klaus als bundesdeutscher Fahrtenschwimmer zurückgetreten. Ruckzuck ging das. Natürlich hat sich weder der Spiegel noch die Bild-Zeitung für die Demission interessiert. Doch ich meine, Klaus hat Charakterstärke bewiesen und konsequent gehandelt. Leider kann ich nicht sein Nachfolger werden, denn ich bin nur im Besitz der Freischwimmer-Lizenz – und damit eines Titels, der heutzutage wenig gilt.

Dafür hat mein Buch bereits einen Titel, obwohl es sich noch im Manuskript-Stadium befindet und bislang kein Verleger Interesse geäußert hat. »Überleben ohne Titel« soll das Werk heißen – ein Ratgeber, der arme Menschen, denen ein wie auch immer erworbener Titel plötzlich abhanden gekommen ist, vor dem Sturz in eine Depression bewahren soll.

Die Kernbotschaft des Textes lautet übrigens: Auch ohne einen Titel ist das Leben lebenswert! Auch jenseits vom Dr. rer. nat., Dipl.-Soz., OGefr., M. A., B.F. A., Konsul a.h., Revolutionsführer, Maximo Lider, CBE (Commander of the Order of the British Empire) und dergleichen gibt es Neid, Missgunst, Eifersucht, Größenwahn, Geltungssucht, Minderwertigkeitskomplexe, Angebertum und Hochstapelei – und natürlich die Chance zur kreativen Selbstverwirklichung.

Auch ein Schwimmmeister (früher: Bademeister, heute: Geprüfter Meister für Bäderbetriebe), der seinen Meisterbrief wegen verbotener Chlorgasgewinnung zurückgeben musste, soll eine neue Chance erhalten: zum Beispiel als Ghostwriter für einen Meeresforscher, der einen Doktortitel anstrebt.

Also: Besser mit verlorenem Titel ganz neue Talente und Fähigkeiten entdecken und vielleicht den Stein der Weisen finden, als nie einen Titel gehabt haben. Oder?

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