Montag, 22. August 2016

Gewerkschaftsgeschichte (1): Deßhalb müssen wir für uns sorgen!


Wir möchten gerne mal wieder auf einen interessanten Artikel aus der ver.di-Zeitschrift PUBLIK hinweisen: 
Deßhalb müssen wir für uns sorgen!

GESCHICHTE


"...Deßhalb müssen wir für uns sorgen!"


Tarifpolitik, die Kernaufgabe der Gewerkschaften, spielte für die Buchdrucker und ihre Organisation von Anfang eine große Rolle



Lauter Männer, ernste Gesichter, erregte Debatten und viel Papier - so wurde noch im Jahre 1906 ver­handelt. Ein paar Jahrzehnte später wird die Bundesrepublik bunt plakatiert: 35 Stunden sind genug - das Motto auf einem Plakat der IG Druck und Papier
FOTOS: VER.DI-ARCHIV




Von Constanze Lindemann

"Der Arbeiter sieht von Tag zu Tag mehr die entsetzliche Wahrheit ein, dass das Capital sich nur dann um ihn kümmert, wenn es ihn zu einer vorübergehenden Spekulation nöthig hat, und ihn rücksichtslos wie ein todtes Werkzeug in den Winkel wirft, bis es wiederum seiner bedarf", schrieben die Buchdrucker-Gehilfen im Heidelberger Zuruf im Revolutionsjahr 1848. "Der Staat will und kann nicht unsere Existenz garantiren, deßhalb müssen wir für uns sorgen... Alle müssen mit angreifen, denn es geschieht im wohlverstandenen Interesse nicht blos aller Buchdrucker, sondern auch der menschlichen Gesellschaft überhaupt." Die Gehilfen luden für Pfingsten 1848 zur ersten "National-Buchdrucker-Versammlung" nach Mainz ein. Ihnen war bewusst: Geregelte Arbeitsbeziehungen sind die Grundvoraussetzung für gesicherte und ausreichende Einkommen, für erträgliche Arbeitszeiten, für ein würdiges Leben auch im Alter. Dazu bedarf es einer nationalen Organisation.


Der erste Tarifvertrag


In Mainz setzten die Gehilfen ihr Vorhaben um. Der vorgelegte Tarifvertragsentwurf für das Buchdruckgewerbe war der erste Entwurf eines Tarifvertrags überhaupt - und ist bis heute Grundlage für den Manteltarifvertrag der Druckindustrie. Mit detaillierten Regelungen zur Arbeitszeitbegrenzung, zur Mehrarbeit, Facharbeiterbindung, Maschinenbesetzung sowie zum Lehrlingswesen legten sie den Grundstein zur Kontrolle des Arbeitsmarktes im eigenen Gewerbe. Zur Klärung von Streitfragen waren paritätisch besetzte Schiedsgerichte vorgesehen. Es wurde ein Statut für die "Deutsche National-Buchdrucker-Vereinigung" beschlossen, die Kollegen wurden aufgefordert, in die neue Organisation einzutreten: "Wir müssen wollen und handeln, vereint handeln."

Nach der Niederlage der Revolution von 1848 schafften die Gehilfen knapp 20 Jahre später einen Neuanfang und gründeten 1866 den Deutschen Buchdruckerverband. Die Druckereibesitzer schlossen sich 1869 zum Deutschen Buchdrucker-Verein zusammen. Um endlich einen Tarifvertrag zu bekommen, traten die Buchdrucker 1872/73 in einen reichsweit koordinierten Streik. Ergebnis war, trotz der Aussperrung von circa 2.000 Gehilfen, der Abschluss des Allgemeinen Deutschen Buchdrucker-Tarifs im Frühjahr 1873.

Das war der erste Tarifvertrag überhaupt. Er enthielt den 10-Stunden-Tag, Regelungen für die Bezahlung von Mehrarbeit und die Errichtung einer Tarifgemeinschaft. Die organisierten Kollegen durften ab 1875 nicht mehr unterhalb dieses Tarifs arbeiten. Ein paritätisch besetzter Tarifausschuss hatte über Konfliktfälle zu entscheiden.


Doch die Arbeitgeber schafften es nicht, den Tarifvertrag bei ihren Mitgliedern durchzusetzen. Das war 1892 Auslöser für die härteste Niederlage des Verbands: Die Schnellpressen hielten Einzug in den Drucksälen, die Arbeitslosigkeit nahm zu, die Gehilfen streikten für den 9-Stunden-Tag. Aber nach zehn Wochen ergebnis­losem Streik war die Tarifgemeinschaft zerbrochen, der Verband verlor 2.000 Mitglieder und bekam den "Gutenberg-Bund" als christliche Konkurrenzorganisation. Doch schon 1896 hatte der Buchdrucker-Verein 5.000 neue Mitglieder gewonnen und setzte einen Tarifvertrag mit dem 9-Stunden-Tag und die Wiedereinrichtung der Tarifgemeinschaft durch.


Fortsetzung folgt....

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